Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
gesellschaftlichen Anlässe, die sie nie besuchten. Einem Dinner. Einem Ball.
»Welches?«
Er warf einen flüchtigen Blick darauf, nicht mehr.
»Das weiße ist schön.«
Zog an seiner Zigarette, starrte auf den Tisch.
»Das weiße?«
»Das weiße«, wiederholte er.
Rama, der Lehrer, mit dem sie schon einmal gesprochen hatten, war nach der Hälfte der Liste an der Reihe. Dieselben Fragen. Dieselben wenig aufschlussreichen Antworten. Der Mann war 35. Seit sieben Jahren an der Schule.
Wie hat Nanna auf Sie gewirkt, fragten sie jeden.
»Kontaktfreudig, fröhlich, gescheit …«, antwortete Rama.
Meyer ließ eine seiner Tabletten auf den Tisch rollen, folgte ihr mit den Augen.
»Sie hatten ein gutes Verhältnis zu ihr?«, fragte Lund.
»Absolut. Sie war ein sehr aufgewecktes Mädchen. Fleißig. Erwachsen.«
»Hatten Sie auch außerhalb der Schule mit ihr zu tun?«
»Nein. Privat habe ich keinen Kontakt mit den Schülern. Dafür fehlt mir die Zeit.«
Meyer spülte die Tablette hinunter. Warf die leere Wasserflasche in den Papierkorb.
»Meine Frau ist schwanger«, fügte Rama hinzu. »Es ist bald so weit. Sie arbeitet auch hier. Jetzt nur noch in Teilzeit.«
»Wie schön.«
»Haben Sie Nanna auf der Fete am Freitag gesehen?«, unterbrach Meyer.
»Nein. Ich hatte die erste Aufsicht. Gegen acht bin ich gegangen.«
»Das war’s, danke«, sagte Lund. »Schicken Sie bitte den Nächsten rein?«
Sie lachte.
»Ich rede schon wie eine Lehrerin.«
Meyer bemerkte die Bananenschalen auf dem Tisch.
»Hast du etwa meine Bananen aufgegessen?«, fragte er.
»Eine.«
Er stand auf, ging fluchend ans Fenster, zündete sich eine Zigarette an. Der Lehrer war sitzen geblieben.
»Da ist noch was. Es ist schon eine Weile her, ein paar Monate. Da hat Nanna einen Aufsatz geschrieben. Eine Probeklausur.«
Lund wartete.
»Es war eine Kurzgeschichte.«
»Und warum ist das wichtig?«, fragte Lund.
»Ist es vielleicht gar nicht.« Rama sah sie an. »Die Geschichte handelte von einer heimlichen Affäre. Zwischen einem verheirateten Mann und einem jungen Mädchen. Sie war ziemlich …«
Der Lehrer suchte nach dem passenden Ausdruck.
»Ziemlich freizügig. Es sollte natürlich eine erfundene Geschichte sein, aber der Text hat mir zu denken gegeben.«
Meyer kam an den Tisch zurück, sah Rama an, fragte: »Warum?«
»Ich lese viele Aufsätze. Ihrer klang für mich so, als spräche sie von sich selbst. Von Dingen, die sie selbst erlebt hatte.«
»Freizügig?«, fragte Lund.
»Sie trafen sich. Sie hatten Sex.«
»Warum haben Sie das bei unserem ersten Gespräch nicht erwähnt?«
Er schien verlegen.
»Ich dachte, es sei nicht so wichtig.«
»Wir müssen den Aufsatz lesen«, sagte Meyer.
»Er müsste zusammen mit den anderen im Magazin sein. Probeklausuren heben wir auf.«
Sie warteten.
»Ich kann Ihnen suchen helfen, wenn Sie möchten«, sagte Rama.
Der Beamte der Schulverwaltung kam mit einem Stapel blauer Schnellhefter unterm Arm zurück. Skovgaard bedankte sich. Lächelte.
»Und?«
»Ein Mustergymnasium. Privat. Nicht billig.« Er blätterte einige der Mappen durch. »Die Lehrer scheinen besonders qualifiziert und engagiert zu sein. Die Beurteilungen sind durchweg gut.«
Sie betrachtete den Stapel.
»Keine Beanstandungen?«
»Soweit ich sehen kann, nicht. Aber ich weiß ja nicht, wonach Sie suchen.« Er wartete auf eine Antwort. »Sonst …«
»Das ist reine Routine. Wir möchten wissen, ob alles in Ordnung ist.«
Olav Christensen gab sich beflissen, hilfsbereit, obwohl sie ihn so unter Druck gesetzt hatte.
»Bei Troels ist eigentlich immer alles in Ordnung. Ich wünschte …« Er nickte zu Poul Bremers Büro hin. »… das wäre überall so. Aber vielleicht demnächst.«
Sie fragte sich, weshalb er plötzlich so hilfsbereit war. Hielt eine der Mappen hoch. Bedankte sich.
Seit anderthalb Stunden durchsuchten Lund und Meyer die Ablageschränke. Der Lehrer musste wieder zum Unterricht. Rektorin Koch kam herein, warf einen pikierten Blick auf Meyers Zigarette und fragte: »Haben Sie den Aufsatz gefunden?«
»Er ist nicht da«, antwortete Meyer.
»Er muss aber da sein.«
»Er … ist … nicht … da. Wir haben alles durchsucht.«
Lund zeigte ihr eine Ablagebox.
»Die war offen.«
Koch sah sich das Etikett an, auf dem stand, wer sie wann benutzt hatte.
»Einer unserer Lehrer ist Sprachforscher. Er schreibt eine Abhandlung über sprachliche Trends. Wortgebrauch. Ich habe ihm die Erlaubnis gegeben,
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