Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
ganzen Sonntag über hat er die neuen Fliesen im Bad verlegt.«
»Dann war er also den ganzen Samstag und den ganzen Sonntag weg? Gleich ab dem frühen Morgen?«
Sie schlang die Arme um den Oberkörper.
»Ich glaube, Sie gehen jetzt besser.«
»War er von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends weg?«
Die Frau stand auf, wurde ärgerlich.
»Wieso stellen Sie mir diese Fragen, wenn Sie mir kein Wort glauben? Gehen Sie jetzt bitte.«
Meyer nahm seine Jacke. »Okay«, sagte er.
Und vergib uns unsere Schuld .
Pernille hörte das Vaterunser kaum, das sie seit ihrer Kindheit gehört, das sie so viele Male selbst gesprochen hatte.
Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Sah nur das schimmernde weiße Holz. Die Blumen, die Abschiedsbriefe. Den Sarg, der die Wahrheit verbarg. In seinem Innern …
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen .
Anton stupste sie an, fragte mit seiner klaren, jungen Stimme: »Warum faltet Papa nicht die Hände?«
In Ewigkeit .
»Schsch«, machte sie und legte den Finger an die Lippen.
»Und du auch nicht?«, fragte Emil mit einem Blick auf ihre Hände.
Die Jungen hatten ihre besten Sachen an, drückten die Fingerspitzen aneinander. Pernilles Augen füllten sich mit Tränen. Ihr Kopf füllte sich mit Erinnerungen.
Amen .
Zuerst war der Ton da, der tiefe, sanfte Klang der Orgel. Dann erhoben sich die Gestalten um sie herum, eine nach der anderen. Mit Blumen in den Händen. Die Gesichter blass und starr. Verwandte. Leute, die sie kaum kannte. Fremde … Rosen wurden mit bleichen, zitternden Händen auf den Sarg gelegt.
»Wir haben auch was, Mama«, sagte Anton. »Wir haben was für Nanna.«
Er stand als Erster von der Familie auf. Theis als Letzter, nachdem Anton ihn sacht berührt hatte. Gemeinsam gingen sie nach vorn. Zum Sarg. Weißes Holz und Rosen. Ein Duft, der einen Gestank verbarg. Die Jungen fassten sich an den Händen, legten einen kleinen Stadtplan auf den Sarg. Kopenhagen. Die Straßen und Kanäle.
»Was soll der Quatsch?«, fragte Theis leise, wütend. »Was ist das?«
»Das ist für Nanna«, antwortete Emil. »Damit sie sehen kann, wo wir wohnen, wenn sie vorbeifliegt.«
Zu viert am Sarg, verbunden und auch getrennt durch Emotionen, die sie nicht benennen konnten.
»Bist du sauer, Papa?«, fragte Anton weinend.
Bist du sauer?
Kein zorniger Mann mehr. Nicht, seit die Kinder gekommen waren und ihr Leben komplett gemacht hatten. Pernille wusste das. Er auch. Und die Jungen meist auch.
»Nein«, sagte Birk Larsen, beugte sich hinunter und küsste beide auf den Kopf, legte seine mächtigen Arme um ihre Schultern, drückte sie an sich. Pernille nahm es kaum wahr. Sah nur den Sarg. Ihre Tränen rannen herab, salzige Flecken auf weißem Holz. Er streckte die Hand aus, und seine rauhen, schwieligen Finger flochten sich in ihre.
»Theis …?«, flüsterte sie schließlich.
Sie senkte den Kopf, erstaunt, dass in dem einen Wort so viel Bedeutung, so viel Leben, so viel Schmerz und Kummer liegen konnten. Sah in sein derbes graues Gesicht und fragte: »Jetzt?«
Ein Händedruck, ein Nicken.
Sie gingen den Mittelgang hinunter, vorbei an den Reihen der Trauernden. Vorbei an Schülern und Lehrern, vorbei an Nachbarn und Freunden. Vorbei an der Polizistin mit den vielen Fragen, die sie an der Tür aus glitzernden, traurigen Augen ansah. Hinaus ins fahle Tageslicht, fort von Nanna.
Hartmann hörte jetzt stündlich die Nachrichten. Konnte nicht anders. Die Polizei hatte eine weitere Verlautbarung herausgegeben, so nichtssagend wie die anderen. Alle verfügbaren Kräfte seien auf den Fall angesetzt. Buchard, der streitbare Hauptkommissar, war zu hören, barsch und gereizt: »Wir verfolgen eine Spur, mehr können wir nicht sagen.«
Dann der Wetterbericht.
Rie Skovgaard kam herein. »Mein Vater will dich sprechen«, sagte sie nervös.
In einer Stunde sollte das Fernsehduell mit Bremer beginnen. Hartmann nahm eine Krawatte aus der Schublade, stand auf, hielt sie sich vor dem Spiegel an.
»Viel zu tun?«, fragte Kim Skovgaard und setzte sich.
»Für dich hab ich immer Zeit.«
»Du gehst also zu dem Duell? Sprichst über Integration? Ausländer? Integrationsvorbilder?«
»Genau.«
»Rie macht sich Sorgen um dich, Troels.«
»Ja. Ich weiß.«
»Sie ist eine sehr kluge Frau. Und das sage ich nicht, weil sie meine Tochter ist.« Er stand auf, trat zu Hartmann und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du solltest mehr auf sie hören. Aber jetzt
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