Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall

Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall

Titel: Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Hewson , Soren Sveistrup
Vom Netzwerk:
Ehrgeiz lief nichts. Sie legte ihre Hand an seine Wange.
    »Wir schaffen’s auch ohne Morten«, sagte Rie Skovgaard. »Keine Sorge.«
    Es war hell und kalt draußen. Eine gleißende Wintersonne. Wochenendeinkäufer. Familien auf einem Tagesausflug. Olav Christensen ging auf den Platz hinaus, das Handy am Ohr.
    »Ich brauch die Akte zurück«, sagte er.
    Die Dinge änderten sich im Rathaus. Niemand wusste, wohin die Reise ging. Schweigen am anderen Ende.
    »Hast du gehört?«
    Er wurde wütend, was vielleicht nicht so günstig war. Aber er konnte nicht anders. Hartmann war nicht auf den Kopf gefallen. Und auch kein Naivling. Das sah Christensen ihm an den Augen an. Eine Untersuchung … Dokumente wurden gekennzeichnet, jede Bestandsveränderung wurde genau registriert. Es würde höchstens einen Tag dauern, bis man feststellte, dass er die Kemal-Akte zusammen mit den anderen entnommen hatte. Gesehen hatte, welche Probleme sie machen konnte. Sie beiseitegelegt hatte, für alle Fälle. Es gab keinen Ausweg. Keine Ausrede. Keine Lüge, die er sich hätte ausdenken können. Sein Kopf würde sofort rollen. Karriere ade. Immer noch Schweigen.
    »Ich hab dir einen Riesengefallen getan, Mann!« Ein Kind mit ein paar roten Luftballons ging vorbei und starrte ihn an, weil er so gebrüllt hatte.
    »Verarschen kann ich mich selber. Ich brauche Hilfe. Ich hab dir schon mal gesagt: Allein geh ich nicht vor die Hunde.«
    Das war dumm. Es klang wie eine Warnung. Olav Christensen wusste genau, mit wem er es zu tun hatte. Wer mit Drohungen arbeitete, dem konnte man nicht drohen.
    »Hör mal … Was ich sagen will …«
    Er horchte. Nichts. Nicht einmal das langsame rhythmische Geräusch seines Atems.
    »Hallo?«, sagte er. »Hallo?«
    Ein brauner Backsteinturm vor einem blassblauen Himmel. Glockengeläut. Draußen Kameras. Eine Menschenmenge. Lund dachte an den Fall, an die Ermittlungen, die vor ihr lagen. War er hier? Der Mann, der Nanna gefangen gehalten hatte, sie immer wieder vergewaltigt, sie geschlagen, sie stundenlang gequält hatte? Die Techniker machten Fortschritte. Die Seife auf der Haut des Mädchens, eine andere als die zu Hause, war frisch gewesen, der Schmutz unter ihren Fingernägeln mit Blut vermischt, die Haut durch eine Schere oder einen Nagelknipser verletzt. Wie viele Erklärungen gab es? Nur eine. Er hatte sie irgendwo gewaschen, ihre malträtierte, zerschrammte Haut gereinigt, ihr unter Gegenwehr die Nägel geschnitten. Dann hatte er sie in ihrem kurzen Hemd barfuß durch den dunklen Wald gehetzt. Bis …
    Ein Versteckspiel .
    Meyer hatte das gesagt, und Meyer war nicht dumm. Es war ein Spiel. Nicht ganz real. Er hatte sie bei lebendigem Leib in den Kofferraum von Troels Hartmanns Wagen gesperrt und dann zugeschaut, als sie schreiend in den abgelegenen Kanal stürzte. So wie andere sich einen Film ansahen. Oder einen Verkehrsunfall. Oder eine Trauerfeier.
    Ein grausames, unwirkliches Spiel.
    Wie sah er aus? Normal. Verbrecher waren keine Sorte für sich, mit Narben oder seltsamen körperlichen Gebrechen, anders als ihre Opfer. Sie waren eins mit ihnen. Normal. Ein Fremder in einem Bus. Ein Mann in einem Laden, der jeden Morgen hallo sagt. Oder ein Lehrer, der Tag für Tag in dieselbe Schule kommt, alle beeindruckt mit seiner Ehrlichkeit, hervorsticht durch seine offensichtliche Integrität in einer Welt, in der wenige sie zu schätzen wussten. Lund sah sich um, wie sie es immer tat. Ließ die glänzenden Augen wandern. Schaute, stellte sich Dinge vor. Monströse Taten brauchten keine Monster. Sie waren das Werk des Alltäglichen, Gewöhnlichen. Grausame Tränen im Gewebe einer Gesellschaft, die sich um Einheit bemühte. Wunden im Gemeinschaftskörper der Stadt, blutend und schmerzhaft. Sie betrachtete das Meer der Gesichter ringsum, fand einen Platz im Halbdunkel neben einer Säule, setzte sich. Von hier aus konnte sie beobachten, ohne gesehen zu werden. Pfeifend setzte die Orgel ein. Ein Choral. Der Text eines Weihnachtsliedes, an das sie sich kaum noch erinnerte.
    Lund sang nicht mit. Lisa Rasmussen auf der anderen Seite des Mittelgangs sang nicht mit. Vagn Skærbæk, Birk Larsens rechte Hand, tränenüberströmt, die schwarze Mütze an die Brust gedrückt, sang nicht mit. Der Lehrer, den sie Rama nannten, in einer Bank mit seinen Schülern, sang nicht mit. Pernille und Theis Birk Larsen, mit ihren Jungs vorn bei dem weißen Sarg, sangen nicht mit. Wirkten so verloren, als sei das alles unwirklich, die Kirche,

Weitere Kostenlose Bücher