Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
ihn an. Er schwitzte. Versuchte, Mut zu fassen. Das kommt nicht oft vor, dachte Lund.
»Letzten Freitag hatte ich Aufsicht bei der Halloween-Fete im Gymnasium, bis halb neun. Dann bin ich nach Hause gefahren, um meine Frau abzuholen.«
Sie fragte sich, was in dem Transporter mit Birk Larsen passiert war. Was sich dadurch vielleicht geändert hatte.
»Wir sind in unser Schrebergartenhaus. Gegen halb zehn hab ich gemerkt, dass ich vergessen hatte, Kaffee mitzunehmen. Deshalb bin ich zur Tankstelle gefahren.«
Der erfindet das, dachte sie. Der denkt sich das aus.
»Auf dem Rückweg fiel mir ein, dass am nächsten Tag der Bodenleger kommen sollte. Deshalb bin ich nochmal in die Wohnung, um alles für ihn vorzubereiten.«
Meyer beugte sich über den Tisch.
»Kurz nach zehn hat es geklingelt. Es war Nanna.«
Sie sahen ihn gespannt an.
»Sie wollte ein paar geliehene Bücher zurückbringen. Sie war nur zwei Minuten da.«
Meyer lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Das war’s«, sagte Kemal und trank das Glas Wasser aus.
»Sie ist vorbeigekommen, um ein paar Bücher zurückzubringen?«, fragte Meyer.
»Schulbücher?«, wollte Lund wissen.
»Nein, Bücher von mir. Karen Blixen. Die wollte sie mir offenbar unbedingt an dem Abend zurückgeben. Warum, weiß ich nicht. Das hat mich gewundert.« Er zuckte die Schultern. »Ich hab sie dann einfach genommen.«
»Am Freitagabend?«, fragte Meyer. »Um zehn?«
»Sie war immer auf der Suche nach neuem Lesestoff.« Er schloss kurz die Augen. »Ich hätte Ihnen das schon früher erzählen sollen.«
»Und warum haben Sie es nicht getan?«, fragte Lund.
Er schaute auf seine Hände. »Es gab einmal einen Zwischenfall mit einer anderen Schülerin. Vor ein paar Jahren. Eine falsche Anschuldigung. Ich hatte Angst, Sie würden denken …«
»Ja, was?«, fragte Lund.
»Dass ich irgendwie eine Beziehung mit Nanna hatte.«
Ein Blick aus dunklen Augen.
»Hatte ich aber nicht«, sagte er.
»War’s das?«, fragte Lund.
»Das war’s. Mehr habe ich nicht zu sagen.«
Hartmanns Wagen fuhr eine Zeitlang die Nachtlokale ab. Er auf dem Rücksitz. Telefon aus. Radio aus.
»Irgendwo hier muss es sein«, sagte er zum Fahrer.
Ein Schild, an das er sich erinnerte. Ein Name.
»Da! Da!«
Es war eine alte Kneipe. Laut. Überfüllt. Voller Männer, die zu viel Bier intus hatten. Flaschen auf dem Tisch. Schwaden von Zigarettenrauch. Hartmann schlenderte durch das dunkle Lokal. Fand schließlich Morten Weber, zusammengesunken, die Locken fettig und zerrauft. An dem Tisch saßen sechs Männer. Tranken tüchtig. Sagten nichts. Hartmann baute sich vor ihnen auf und hielt eine Plastiktüte hoch. Weber stöhnte und stand auf. Das Insulin wurde immer ans Wahlkampfbüro geliefert. Dorthin, wo Weber praktisch gewohnt hatte.
»Hab dich im Fernsehen gesehen«, sagte er und nahm die Tüte.
In dem Glas, das er in der Hand hielt, war Whisky. Hartmann konnte es riechen. Nicht der erste heute Abend, dachte er.
»Du hast doch bestimmt keine Zeit, den Doktor zu spielen, Troels.«
»Rie denkt, du bist krank. Sie kennt dich nicht so gut wie ich. Noch nicht.«
Morton Weber sah ihn aus trüben Augen an und versuchte zu lächeln.
»Einmal im Monat darf ich mich betrinken. So steht’s doch in meinem Vertrag, oder nicht?«
»Warum heute?«
»Weil du mich angebrüllt hast.«
»Du hattest mich provoziert.«
»Weil ich auch mal aus dem Marmorgefängnis rausmusste. Um nachdenken zu können, ohne dich oder sie oder irgendeinen Fuzzi, der mir in die Quere kommt. Außerdem …«
Auf Webers traurigem, zerknittertem Gesicht erschien ein Ausdruck, den Hartmann nicht an ihm kannte: Verbitterung.
»Ist doch auch egal, oder? Du hörst ja nicht mehr auf mich. Weiß sie, dass du hier bist? Deine neue Gefährtin?«
Er kippte den restlichen Whisky hinunter. Setzte sich an einen leeren Tisch und hielt sich an seinem Glas fest. Hartmann setzte sich ihm gegenüber auf die Bank.
»Du hast noch nicht mal den Lehrer suspendiert, stimmt’s?«, sagte Weber. »Zu Recht, nach allem, was man so hört. Aber wie denkt Kirsten Eller darüber?«
Hartmann antwortete nicht.
»Ist sie schon von dir abgerückt, Troels? Oder wartet sie noch bis morgen? Was rät dir Rie? Dass du zu ihr rennst? Sie anbettelst? Ihr bringst, was sie haben will? Den Kopf des Lehrers auf einem Silbertablett?«
»Ich brauche euch beide, ihr beide müsst zusammenarbeiten.«
»Einfach so? Bloß weil du mir das Insulin
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