Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Ende der Straße. Ein Betonstreifen. Ein Weg am Wasser. Keine Autos. Keine Lichter. Kein Lebenszeichen. Theis Birk Larsen ließ die Vorderräder auf den Weg rollen. Zog die Handbremse. Fast eine Stunde hatten sie so nebeneinander gesessen und waren durch die Stadt gefahren. Richtung Norden. Richtung nirgendwo. Hatten kaum ein Wort gesprochen. Jetzt stellte er den Motor ab. Machte die Scheinwerfer aus. Nur die schwache Innenbeleuchtung über dem Rückspiegel war noch zwischen ihnen.
Das Handy in Birk Larsens Anzugtasche klingelte wieder. Er nahm es heraus. Schaltete es aus, ohne sich zu melden. Steckte es wieder ein. Starrte vor sich hin.
»Was soll das werden?«, fragte der Lehrer. »Was …?«
Birk Larsen griff nach unten, öffnete die Tür, stieg aus. Er zog das Jackett seines schwarzen Anzugs enger um seine massige Gestalt. Ging durch den böigen Wind und den eiskalten Regen ans Wasser. Drehte sich um, schaute zum Transporter zurück. Ein dunkles Gesicht hinter der Scheibe. Besorgt, grau in dem schwachen Licht. Birk Larsen zog ein Päckchen Zigaretten hervor, versuchte, sich in dem strömenden Regen eine anzuzünden. Schützte sie mit seiner mächtigen Schulter. Brachte ein Flämmchen zustande.
Allein in seinem Büro, hatte Troels Hartmann wieder die Nachrichten eingeschaltet. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er sich danach gesehnt, im Rampenlicht zu stehen. Das war vorbei. Jetzt nicht mehr. Nicht unter diesen Umständen.
»Der Kampf um das Amt des Oberbürgermeisters nahm heute Abend eine dramatische Wendung, als Bremer einem Repräsentanten von Hartmanns Integrationsprojekt vorwarf, in einen Mordfall verwickelt zu sein.«
Rie Skovgaard kam herein und wimmelte am Handy einen weiteren Reporter, der ein Interview haben wollte, mit dem üblichen »kein Kommentar« ab. Sie legte auf und gab Hartmann ein Blatt Papier.
»Die Zentrumspartei will ein Meeting. Ich musste es ihnen versprechen.«
Hartmann schaltete den Fernseher aus. Skovgaard ging hinaus.
»Was sagt die Polizei?«, fragte er.
Sie blieb an der Tür stehen.
»Da ist niemand zu erreichen. Troels?«
Sie wirkte nicht einmal müde. Sie war in der turbulenten Welt der Kommunalpolitik groß geworden, aus der sein Vater ausgeschlossen worden war. Das alles schien ihr im Blut zu liegen.
»Dir ist doch klar, dass du Kemal suspendieren und eine Erklärung abgeben musst. Andernfalls …«
»Erst, wenn ich was von der Polizei gehört hab. Wenn die mir einen Grund liefern …«
»Du musst das tun! Wir müssen deutlich machen, dass du nichts zu verbergen hast. Es geht hier um Transparenz.«
»Nein. Es geht darum, ob man klein beigibt. Ob man sich unter Druck diktieren lässt, was man macht. Nicht darum, was richtig ist.«
Er erhob sich von seinem Stuhl, nahm sein Jackett. War ganz ruhig. Überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein.
»Bremer hat das nicht ohne Grund aufs Tapet gebracht …«
Sie lehnte sich an die Tür, legte den Kopf schräg. Ihr dunkles Haar bewegte sich. Wie sagte Morten immer? Der Jackie-Kennedy-Beerdigungs-Look.
»Du hättest dich ans Skript halten sollen. Nicht von Integrationsvorbildern reden. Bloß weil Bremer damit angefangen hat …«
»Ich hab das Richtige getan.«
»Du hast es vergeigt.«
»Spricht da der Herr Papa?«
»Nein, ich«, giftete sie zurück. »Ich will, dass du gewählt wirst. Dass du nicht ohne Grund deine Chancen verspielst.«
»Meine Chancen, Rie? Oder deine? Die deines Vaters?«
Sie schüttelte den Kopf und kniff ihre klaren, durchdringenden Augen zusammen.
»So siehst du es also?«
»Ich hab gefragt …«
»Vielleicht bin ich ja doch nicht die richtige Beraterin für dich. Wozu das alles? Wenn du verdammt nochmal alles ignorierst, was ich sage.«
Ein Wendepunkt.
»Stimmt, das bist du vielleicht nicht.«
»Sind die beiden Handys schon geortet?«
Meyer antwortete nicht. Er telefonierte noch. Lund sichtete die Dokumente an der Wand, versuchte sich einen Überblick über die verschiedenen Lagerräume der Firma zu verschaffen. Skærbæk sah ihr mürrisch zu, ohne etwas zu sagen. Sie gab der Zentrale die Standorte durch. Ein Lagerhaus am Südhafen. Ein Depot in Valby. Ein Lagerhaus im Freihafen, ohne Adresse.
»Wo im Freihafen?«, fragte sie Skærbæk.
»Ich war da noch nie.«
Eine Schublade voller Schlüssel. Sie sah sie durch.
»Was ist mit dieser Werkstatt? Könnte er da sein?«
»Ich sag doch: Ich hab keine Ahnung.«
Meyer legte auf.
»Kemals Handy wurde von einem Sendemast erfasst. Er
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