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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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achtete Monsieur Domini sehr auf seine Eigenliebe; als Beamter war er jedoch gehalten, seine Meinung zu opfern, wenn die Stimme der Pflicht sich hören ließ. Lecoqs Argumente hatten zwar seine granitene Überzeugung nicht geschmälert, aber sie verlangten von ihm, sich auf der Stelle zu entscheiden: entweder den Mann der Sûreté zu schlagen oder sich selbst für besiegt zu erklären.
    Â»Sie scheinen ein Plädoyer halten zu wollen«, sagte er zu Monsieur Lecoq, »und das Arbeitszimmer des Untersuchungsbeamten ist dazu kaum der rechte Ort. Hier gibt es weder Rechtsanwalt noch Richter. Uns verbinden dieselben ehrenwerten Absichten. Jeder von uns sucht auf seinem Gebiet nach der Wahrheit. Sie glauben, sie dort zu entdecken, wo ich nur Finsternis sehe, aber Sie können sich genausogut irren wie ich.«
    Und mit etwas unbeholfener Nachgiebigkeit, die jedoch trotz des wirklichen Aktes von Überwindung auch einen Hauch von Ironie versprühte, fügte er hinzu: »Und was sollte ich nun Ihrer Meinung nach tun?«
    Wenigstens wurde der Untersuchungsrichter für seine Anstrengung durch einen zustimmenden Blick seitens Vater Plantats und Doktor Gendrons entlohnt.
    Monsieur Lecoq hingegen beeilte sich nicht mit der Antwort. Er hatte natürlich eine Menge gewichtiger Gründe anzubieten; doch darum, spürte er, ging es nicht. Er mußte Tatsachen vorweisen, jetzt, sofort; einen ins Auge fallenden Beweis. Doch wie?
    Â»Nun?« beharrte Monsieur Domini.
    Â»Könnte ich dem unglücklichen Guespin noch drei Fragen stellen?« erkundigte sich Monsieur Lecoq.
    Der Untersuchungsrichter runzelte die Brauen; der Vorschlag schien ihm tückisch. Es ist formell vorgeschrieben, daß die Befragung des Beschuldigten nur von dem Untersuchungsrichter und dessen Schreiber geheim vorgenommen werden darf. Andererseits kann der Beschuldigte nach einer ersten Befragung mit Zeugen konfrontiert werden. Allerdings gibt es auch Ausnahmen zugunsten der Beamten der Exekutive.
    Â»Ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt mir die Vorschriften erlauben, Ihrem Ansinnen zu entsprechen«, antwortete Monsieur Domini, wobei er krampfhaft in seinem Gedächtnis nach einem Präzedenzfall suchte. »Ich bin jedoch überzeugt, daß das Interesse an der Wahrheit über alle Vorschriften gehen sollte, deshalb werde ich es auf mich nehmen, daß Sie den Verdächtigen verhören.«
    Er läutete, ein Türhüter erschien.
    Â»Hat man Guespin schon ins Gefängnis überführt?« fragte er.
    Â»Noch nicht, Monsieur.«
    Â»Um so besser. Man soll ihn herbringen.«
    Monsieur Lecoq konnte sich vor Freude nicht lassen. Er hatte nicht zu hoffen gewagt, daß er in diesem Punkt Monsieur Domini überreden konnte.
    Â»Er wird aussagen«, verkündete er voller Vertrauen, »ich habe, um ihm die Zunge zu lockern, drei Mittel, von denen zumindest eines wirken wird. Aber bevor er kommt, Herr Friedensrichter, noch eine Information. Wissen Sie, ob nach dem Tod Sauvresys Trémorel seine ehemalige Geliebte wiedergesehen hat?«
    Â»Jenny Fancy?« fragte Vater Plantat ein wenig überrascht.
    Â»Ja, Miß Fancy.«
    Â»Gewiß hat er sie wiedergesehen.«
    Â»Mehrmals?«
    Â»Ziemlich oft. Nach der Szene im Belle-Image hat sich die Unglückliche der schlimmsten Ausschweifung hingegeben. Hatte sie Gewissensbisse wegen der Zuträgerei; begriff sie, daß sie Sauvresy umgebracht hatte; ahnte sie, wer der Mörder war, ich weiß es nicht. Jedenfalls trank sie von diesem Augenblick an übermäßig und versank von Woche zu Woche immer tiefer in der Gosse...«
    Â»Und der Comte war einverstanden, sie wiederzusehen?«
    Â»Er war dazu verpflichtet. Sie quälte ihn, er hatte Angst vor ihr. Seit sie kein Geld mehr hatte, borgte sie es von ihm. Einmal verweigerte er ihr es, und daraufhin tauchte sie am gleichen Abend selbst bei ihm auf, betrunken, und er hatte alle erdenkliche Mühe, sie wieder loszuwerden. Sie wußte ja, daß er der Geliebte von Madame Sauvresy gewesen war, sie drohte ihm, es war eine richtige Erpressung.«
    Â»Liegt das letzte Treffen lange zurück?«
    Â»Du meine Güte«, ließ sich Doktor Gendron vernehmen, »ich war zu einem Krankenbesuch in Melun, es ist kaum drei Wochen her, da habe ich am Hotelfenster den Comte und seine Plaudertasche gesehen; bei meinem Anblick ist er schnell zurückgewichen.«
    Â»Demnach besteht

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