Das Verbrechen von Orcival
die Wahrheit herauszukriegen. Ich war dumm genug, Ihnen auch noch zu antworten, jetzt werden Sie all meine Worte gegen mich verwenden.«
»Was denn? Willst du erneut unvernünftiges Zeug faseln
»Nein! Ich sehe klar, aus mir kriegt ihr nichts mehr raus. Jetzt sterbe ich lieber, als noch ein Wort zu sagen.«
Dieses plötzliche Umkippen des Verdächtigen wunderte niemand. Wenn es Verdächtige gibt, die â einmal hinter ihr Verteidigungssystem verschanzt â wie eine Schildkröte mit eingezogenem Kopf in ihrem Panzer hocken, so gibt es auch andere, die bei jedem Verhör etwas anderes aussagen, heute leugnen, was sie gestern behaupteten, und am nächsten Tag irgendeinen törichten Zwischenfall erfinden, den sie am übernächsten wieder abstreiten.
Und so bemühten sich Monsieur Lecoq wie auch Monsieur Domini vergebens, Guespin noch mehr zu entlocken. Auf alle Fragen antwortete er nur noch:
»Ich weià nicht.«
Der Polizeiagent verlor schlieÃlich die Geduld. »Tja«, sagte er zu dem Verdächtigen, »ich hatte dich für einen gewitzten Burschen gehalten, aber du bist nur ein Dummkopf. Du denkst, wir wissen nichts? Dann hör gut zu: An dem Abend der Hochzeit von Madame Denis, als du mit deinen Kollegen losgehen wolltest und dir gerade von dem Kammerdiener zwanzig Francs geborgt hast, hat dich dein Herr zu sich gerufen. Nachdem er dir absolutes Stillschweigen befohlen hatte, ein Schweigen, das du immer noch wahrst, da muà man dir Gerechtigkeit widerfahren lassen, hat er dich gebeten, die anderen Dienstboten am Bahnhof zu verlassen und das Geschäft Alles für den Schmied aufzusuchen, wo du einen Hammer, eine Feile, einen HartmeiÃel und einen Dolch für ihn kaufen solltest. Diese Gegenstände solltest du zu einer Frau bringen. Daraufhin hat dir dein Herr den Fünfhundertfrancschein gegeben und dir gesagt, du sollst ihm den Rest des Geldes bei deiner Rückkehr am nächsten Tag wiedergeben. Richtig?«
Jawohl, so war es, das sah man dem Verdächtigen an den Augen an. Dennoch erwiderte er: »Ich erinnere mich nicht.«
»Nun, dann werde ich dir erzählen, was anschlieÃend passiert ist«, fuhr Monsieur Lecoq fort. »Du hast getrunken, du hast dich betrunken, und zwar so gehörig, daà sich der Rest des Geldes, das man dir gegeben hatte, verflüchtigt hat. Deshalb die Furcht gestern morgen, als man Hand an dich legte, ohne dir zu sagen, worum es eigentlich ging. Du hast geglaubt, daà man dich wegen Veruntreuung festgenommen hätte. Als du dann erfahren hast, daà der Comte in der Nacht ermordet wurde, fiel dir ein, daà du ja am Vorabend lauter Werkzeuge gekauft hattest, mit denen man einen Mord ausführen kann. Ãberzeugt, daà man dir nicht glauben würde, woher das Geld stammte, das man in deiner Tasche gefunden hatte, und nur ängstlich darauf bedacht, ja nicht den Namen der Frau und ihre Adresse zu nennen, wohin du das Paket getragen hast â weil du dachtest, man würde dir ja eh keinen Glauben schenken â, hast du, anstatt deine Unschuld zu beweisen, lieber geschwiegen.«
Verständlich, daà der Gesichtsausdruck des Verdächtigen sich allmählich veränderte. Seine Nervenanspannung lieà nach, seine zusammengepreÃten Lippen entspannten sich. Er hoffte wieder. Doch er redete nicht.
»Macht mit mir, was ihr wollt«, sagte er.
»Ha! Was soll man denn mit solch einem Idioten wie dir machen!« explodierte Monsieur Lecoq. »Ich glaube langsam selbst, daà du ein Trottel bist. Oder vielleicht doch tiefer in der Sache steckst. Wäre das nämlich nicht der Fall, würdest du doch verstehen, daà wir dir helfen wollen, und uns die Wahrheit sagen. Aber wie du willst. Du wirst schon noch lernen, daà die gröÃte Finesse darin besteht, zu sagen, was war. Ein letztes Mal â willst du antworten?«
Guespin schüttelte verneinend den Kopf.
»Dann geh doch zurück ins Gefängnis, wenn es dir dort gefällt«, schloà der Beamte der Sûreté. Und mit Blicken das Einverständnis des Untersuchungsrichters suchend, sagte er: »Gendarmen, führt den Mann ab.«
Die letzten Zweifel des Untersuchungsrichters waren zerstoben wie Nebel im Sonnenschein. Ehrlich gesagt, verspürte er sogar eine gewisse Scham, den Detektiv so schlecht behandelt zu haben. Wenigstens versuchte er, so gut es ging, seine bis dahin bewiesene Starrköpfigkeit
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