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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Verteidigungsstrategie auszudenken?«
    Der Polizeibeamte schüttelte zweifelnd den Kopf.
    Â»Unser Verdächtiger sorgt sich wenig um eine Strategie, dafür könnte ich meine Hand ins Feuer legen«, sagte er. »Wenn er schweigt, so hat er nichts Glaubhaftes gefunden.«
    Â»Nein, Herr Untersuchungsrichter, nein«, erwiderte Lecoq.
    Â»Glauben Sie mir, er sucht nicht danach. Meiner Meinung nach ist Guespin ein Opfer. Ich will Ihnen was sagen, ich vermute, Trémorel hat ihm so eine ausgeklügelte und teuflische Falle gestellt, daß er hineingefallen und nun davon überzeugt ist, jeder Kampf, um herauszukommen, sei zwecklos. Dieser Unglückliche ist davon überzeugt, daß er sich immer weiter in den Maschen des Netzes verfangen wird, je mehr er herumzappelt, um frei zu kommen.«
    Â»Das ist auch meine Meinung«, versicherte Vater Plantat. »Der wahre Schuldige, Hector, ist im letzten Augenblick so verwirrt gewesen, daß er nicht alle Vorkehrungen treffen konnte, die er treffen wollte. Doch vergessen wir nicht, er ist ein intelligenter Mann und gerissen genug, die schmutzigsten Machenschaften auszuführen. Er weiß, daß die Justiz ihre Anzahl an Verdächtigen braucht, zumindest einen pro Verbrechen; er hat uns Guespin hingeworfen, wie der Jäger dem Bären seinen Handschuh hinwirft, wenn ihn dieser verfolgt. Vielleicht rechnet er damit, daß es keinen Unschuldigen den Kopf kostet, und gewiß hofft er dadurch, Zeit zu gewinnen. Während der Bär den Handschuh zerfetzt und ihn um und um windet, gewinnt der listige Jäger an Boden, kann der Gefahr entgehen und sich in Sicherheit bringen. Und genauso macht es Trémorel.«
    Von allen, die Lecoq zuhörten, war gewiß der Polizist aus Corbeil der eifrigste. Goulard trank förmlich die Worte seines Chefs. Niemals hatte er einem Kollegen zugehört, der sich mit solcher Entschlossenheit und Autorität ausdrückte; noch nie hatte er bei seinesgleichen soviel Beredsamkeit erlebt. Bei der Vorstellung, daß auch er ein Soldat dieser Armee war, die von solchen Generälen kommandiert wurde, stieg er in seiner eigenen Wertschätzung. Er hatte schließlich keine eigene Meinung, sondern die seines Vorgesetzten.
    Leider war es in der Tat äußerst schwierig, den Untersuchungsrichter zu überzeugen.
    Â»Haben Sie jedoch seine Haltung bemerkt?« wandte er ein.
    Â»Ach, Monsieur, was beweist schon die Haltung? Wissen wir denn, wie wir uns morgen verhalten würden, wenn man uns eines schrecklichen Verbrechens beschuldigte?« Monsieur Domini versuchte erst gar nicht, sein Zusammenzucken zu verbergen: diese Möglichkeit schien ihm der Gipfel der Geschmacklosigkeit.
    Â»Sie und ich sind doch mit dem Justizapparat vertraut. An dem Tag, da ich Lanscot verhaftete, diesen armseligen Dienstboten aus der Rue de Marignan, waren seine ersten Worte: ›Na, dann man los.‹ An dem Morgen, da Monsieur Taparet und ich den Vicomte de Commarin festnahmen, der verdächtig war, die Witwe Lerouge ermordet zu haben, schrie er: ›Ich bin verloren.‹ Weder der eine noch der andere schuldig. Aber sowohl der eine wie der andere, der adlige Vicomte und der gewöhnliche Diener, reagierten unterschiedlich trotz der Angst vor einem möglichen Justizirrtum. Doch beide erlebten einen Augenblick der Mutlosigkeit.«
    Â»Aber diese Mutlosigkeit hielt nicht zwei Tage an«, sagte Monsieur Domini.
    Lecoq antwortete nicht gleich. Offenbar suchte er nach stärkeren Argumenten, die den Untersuchungsrichter überzeugen konnten.
    Â»Wir haben doch, Sie als Untersuchungsrichter, ich als bescheidener Detektiv, genug Verdächtige erlebt, um zu wissen, wie irrtümlich der äußere Anschein sein kann. Es wäre verrückt, eine Einschätzung nach der Haltung des Angeklagten vorzunehmen. Derjenige, der zuerst vom ›Schrei der Unschuld‹ gesprochen hat, war ein Dummkopf, genauso wie der, der die ,fahle Blässe‹ des Schuldigen gesehen haben wollte. Weder das Verbrechen noch die Tugend haben, leider, eine besondere Stimme oder Haltung. Die Tochter Simon, die man angeklagt hatte, ihren Monsieur getötet zu haben, weigerte sich zweiundzwanzig Tage lang zu sprechen; am dreiundzwanzigsten hat man den Mörder entdeckt. Was den Fall Sylvain betrifft...«
    Mit zwei leichten Schlägen auf seinen Schreibtisch unterbrach der Untersuchungsrichter den Mann von der Präfektur. Als Mensch

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