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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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brühwarm alle Einzelheiten des Verbrechens von Orcival erzählt? Natürlich haben die Ihnen erzählt, was Sie wissen wollten. Genauso hätte es Madame Petit, die Haushälterin von Vater Plantat, gemacht.«
    Ha! Jetzt war das Maß aber voll. Der schnurrbärtige Mann runzelte die Augenbrauen und belferte los: »Das ist doch, Monsieur...«
    Â»Ach, halt doch den Mund und überleg dir, mit wem du sprichst«, unterbrach ihn der Polizeibeamte. »Ich bin Lecoq.«
    Der Name des berühmten Polizisten war für einen Burschen, der erst seit einigen Monaten als Spitzel in den beweglichen Brigaden der Rue de Jérusalem angestellt war, geradezu magisch. Er streckte die Waffen, und seine Haltung wurde sofort respektvoll wie die eines bescheidenen Infanteristen, der unter dem Korporalshut seinen General erkennt.
    Durch diesen König der Detektive Herr Schlauberger tituliert, geduzt, ja sogar angebrüllt zu werden, das alles schmeichelte ihm eher, als daß es ihn beleidigte. Dümmlich bewundernd meinte er deshalb nur:
    Â»Was? Ist das denn die Möglichkeit? Monsieur Lecoq, solch ein Mann!«
    Â»Ja, ich bin's wirklich, mein Junge, aber beruhige dich, ich will dich nicht ärgern; du verstehst dein Metier noch nicht, aber du hast mir einen Dienst erwiesen und mir den schlüssigen Beweis für die Unschuld Guespins erbracht.«
    Monsieur Domini verfolgte diese Szene nicht ohne ein geheimes Unbehagen. Sein Mann lief zum Gegner über und erkannte vorbehaltlos den Überlegeneren an. Die Sicherheit, mit der Lecoq von der Unschuld eines Verdächtigen sprach, dessen Schuld für ihn feststand, erbitterte ihn.
    Â»Und wie sieht, bitte schön, dieser wunderbare Beweis aus?« fragte er.
    Â»Er ist einfach ins Auge fallend, Herr Untersuchungsrichter«, antwortete Monsieur Lecoq. »Zweifellos werden Sie sich noch erinnern, daß wir bei unserer Untersuchung auf Schloß Valfeuillu die Zeiger der Pendüle im Schlafzimmer auf drei Uhr zwanzig stehend vorfanden. Da ich der Zeit mißtraute, Sie erinnern sich, setzte ich das Läutwerk in Gang. Was geschah? Es läutete elfmal. In diesem Augenblick war es für uns Gewißheit, daß das Verbrechen vor elf Uhr begangen sein mußte. Nun, wenn um zehn Uhr abends Guespin im Alles für den Schmied war, konnte er nicht vor Mitternacht auf Valfeuillu sein. Also hat er die Comtesse nicht ermordet.«
    Monsieur Domini war nicht bereit, so mir nichts, dir nichts klein beizugeben. So sehr konnte er sich doch nicht geirrt haben.
    Â»Ich behaupte ja nicht, daß Guespin der einzige Schuldige gewesen sein soll, er kann nur Komplize gewesen sein, aber Komplize war er.«
    Â»Komplize! Nein, Herr Untersuchungsrichter, aber Opfer. Oh, Trémorel ist ein großer Schurke! Verstehen Sie denn nicht, weshalb er die Zeiger vorgerückt hat? Ich begriff zunächst nicht, was diese fünf Stunden Zeitverschiebung bedeuten sollten. Jetzt ist die Absicht klar. Es sollte Guespin ernsthaft belasten, es sollte darauf hindeuten, daß der Mord erst nach Mitternacht begangen worden war, es sollte...« Doch plötzlich hielt er inne. Der Mund stand ihm offen, das Auge blickte starr, als habe ihn ein Gedanke, der ihm soeben durch den Kopf gegangen sein mußte, gelähmt. Der Untersuchungsrichter, der sich ganz in seine Akten verkrochen hatte, um nach Anhaltspunkten zu suchen, die seine Meinung stützen konnten, hatte davon nichts mitbekommen. »Aber wie erklären Sie sich dann die Hartnäckigkeit Guespins zu reden?« fragte er. »Sich zu weigern anzugeben, was er in der Nacht getan hat?«
    Monsieur Lecoq hatte sich schnell wieder gefangen, aber Doktor Gendron und Vater Plantat, die ihn aufmerksam beobachtet hatten, sahen das Funkeln in seinen Augen. Zweifellos mußte er eine Lösung für das Problem gefunden haben, vor dem er stand. Und was für ein Problem! Es ging um die Freiheit eines Menschen, um das Leben eines Unschuldigen.
    Â»Ich verstehe, Herr Untersuchungsrichter«, erwiderte er, »ich kann mir Guespins hartnäckiges Leugnen erklären, ja, ich wäre überrascht, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt entschließt zu sprechen.«
    Monsieur Domini mißtraute dieser Erklärung; er vermutete sogar die Absicht, sich über ihn lustig machen zu wollen.
    Â»Er hatte immerhin die Nacht, um es sich zu überlegen«, entgegnete er. »Zwölf Stunden sollten wohl genügen, um sich eine

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