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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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der Sûreté verabschiedete sich daraufhin von Monsieur Domini und zog sich, von Vater Plantat gefolgt, zurück. Doktor Gendron blieb noch einen Augenblick bei dem Untersuchungsrichter, um sich mit ihm über die Formalitäten der Exhumierung Sauvresys zu besprechen.
    Er war gerade im Begriff, die Treppe des Gerichtsgebäudes hinunterzugehen, als er spürte, wie er am Ärmel gezogen wurde. Es war der Polizist aus Corbeil, der ihm seinen Schutz anbot und bat, an der weiteren, gewiß sehr aufregenden Jagd nach dem Verbrecher teilnehmen zu dürfen. Monsieur Lecoq brauchte einige Zeit, bis er ihn abgewimmelt hatte. Endlich stand er mit dem Friedensrichter allein auf der Straße.
    Â»Es ist spät geworden«, sagte Vater Plantat zu ihm. »Wäre es Ihnen angenehm, mein bescheidenes Mahl mit mir einzunehmen?«
    Â»Es tut mir aufrichtig leid, Sie abschlägig zu bescheiden, Herr Friedensrichter«, erwiderte Monsieur Lecoq, »aber ich muß heute abend in Paris sein.«
    Â»Es ist nur«, entgegnete der Friedensrichter, wobei er zögerte, »es ist nur..., ich hätte mich gern wegen einer Sache mit Ihnen unterhalten...«
    Â»Wegen Mademoiselle Courtois, nicht wahr?«
    Â»Ja, ich habe einen Plan, und wenn Sie mir helfen könnten...«
    Monsieur Lecoq drückte Vater Plantat bewegt die Hand. »Ich kenne Sie erst seit einigen Stunden, Herr Richter«, sagte er, »und doch fühle ich mich Ihnen verbunden, als wären Sie ein alter Freund von mir. Alles Menschenmögliche werde ich für Sie tun.«
    Â»Aber wo treffen wir uns dann, denn man erwartet mich heute in Orcival.«
    Â»Na gut! Morgen früh neun Uhr bei mir zu Hause, Rue Montmartre Nummer...«
    Â»Danke! Tausend Dank! Ich werde da sein.«
    Und so trennten sich die beiden wackeren Männer auf der Höhe des Hotels Belle-Image .
    * * *
    N eun Uhr hatte es gerade von Saint-Eustache geschlagen, und noch hallte der letzte Glockenschlag durch das Hallenviertel, als Vater Plantat in der Rue Montmartre den dunklen Hausflur von Nummer... betrat.
    Â»Monsieur Lecoq?« fragte er eine alte Frau, die damit beschäftigt war, drei enorme Kater zu versorgen, die sie miauend umstrichen. Die Portiersfrau musterte ihn mit einem überraschten, aber auch mißtrauischen Blick. Das kam daher, weil sich Vater Plantat heute eher wie ein alter Edelmann als ein Kleinstadtadvokat ausstaffiert hatte. Und obwohl der Polizeiagent Besuche aller Art empfing, waren es doch am allerwenigsten die wohlhabenden Alten aus dem Faubourg Saint-Germain, die an seiner Tür klingelten.
    Â»Monsieur Lecoq«, antwortete die Alte endlich, »wohnt im dritten, die Tür neben der Treppe.«
    Der Friedensrichter von Orcival stieg langsam die schmale, ausgetretene, rutschige und schlecht beleuchtete Treppe empor. Er bedachte noch einmal die Merkwürdigkeit des Schrittes, den er unternehmen wollte. Ihm war ein Gedanke gekommen, aber er wußte nicht, ob er überhaupt durchführbar war, und so brauchte er unbedingt den Ratschlag und die Hilfe des Mannes von der Präfektur. Er würde gezwungen sein, seine geheimsten Gedanken preiszugeben, sich jemandem – wie man so schön sagte – zu offenbaren. Das Herz schlug ihm bis zum Halse.
    Die Tür im dritten Stockwerk, »die auf die Treppe geht«, ähnelte keiner der anderen Türen. Sie war aus massiver Eiche, dick, ohne Schnitzwerk, von Eisenscharnieren verstärkt, als ob sie die Tür zu einem Geldschrank wäre. In der Mitte war ein Guckfensterchen eingelassen, das von einem Eisengitter umrahmt war, durch dessen Maschen kaum ein Finger paßte. Man hätte schwören können, eine Gefängnistür vor sich zu haben, wenn das Allerleigrau nicht durch eine jener Gravuren durchbrochen worden wäre, die man früher in der Rue Saint-Jacques hergestellt hatte und die über dem Guckfensterchen angebracht war. Diese Gravur stellte in buntschillernden Farben einen krähenden Hahn dar, unter dem der Spruch prangte: Stets und ständig vigilant .
    Nach einem Zögern, das länger als eine Minute dauerte und gut und gern an das eines Gymnasiasten erinnerte, der sich nicht traut, an die Tür seiner Angebeteten zu klopfen, entschloß sich Vater Plantat endlich, den kupfernen Klingelzug zu betätigen.
    Ein Riegelknirschen antwortete auf seinen Ruf. Das Guckfenster wurde geöffnet, und hinter dem eisernen Gitter erkannte er das

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