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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Entschuldigung für die Umständlichkeiten, in meine Wohnung zu gelangen«, fuhr er fort. »Aber es ist eine Notwendigkeit, die mir keinen Spaß macht, glauben Sie mir. Ich habe Ihnen erzählt, welchen Gefahren ich mich aussetze – und diese Gefahren machen auch vor meiner Wohnung nicht halt. Sehen Sie, letzte Woche erst taucht ein Postbote bei mir auf und will mir ein Paket aushändigen. Janouille, meine Wirtschafterin, der zehn Jahre im Gefängnis von Fontevrault eine ausgezeichnete Witterung eingebracht haben, argwöhnt nichts Schlimmes und läßt ihn eintreten. Er gibt mir das Paket, ich strecke meine Hand aus, um es entgegenzunehmen, und da – piff! paff! Zwei Pistolenschüsse. Das Paket war eine doppelläufige Pistole und der Postbote ein aus Cayenne Entflohener, den ich erst letztes Jahr dorthin gebracht hatte. Ah! Ich muß meinem Schutzengel eine Kerze spendieren, daß ich mit heiler Haut davonkam.«
    Er erzählte das schreckliche Abenteuer im Plauderton, als sei es die natürlichste Sache der Welt.
    Â»Aber es wäre töricht, wenn wir darauf warteten, bis so ein tückischer Anschlag gelingt, und dabei vor Hunger umkämen«, ergriff er wieder das Wort.
    Er läutete, und das Mannweib tauchte sofort auf.
    Â»Janouille«, sagte er zu ihr, »ein Frühstück, schnell, zwei Gedecke und vor allem trockenen Wein.«
    Der Friedensrichter hatte Mühe, sich wieder zu fassen.
    Â»Sie betrachten meine Janouille«, sagte Monsieur Lecoq. »Eine Perle, Herr Friedensrichter, die mich umhegt wie ihr eigenes Kind und für mich durch dick und dünn gehen würde. Und stark dazu. Ich hatte an dem betreffenden Morgen große Mühe, sie davon abzuhalten, den falschen Postboten zu erwürgen. Ich habe sie unter drei- bis viertausend Zuchthäuslern ausgewählt. Sie war wegen Kindesmord und Brandstiftung verurteilt worden. Aber jetzt ist sie das ehrenwerteste Geschöpf. Ich wette, daß sie seit den drei Jahren, die sie in meinen Diensten ist, nicht einmal daran gedacht hat, mir einen Centime zu stehlen.«
    Vater Plantat hörte nur mehr mit halbem Ohre zu, denn er suchte nach einer Gelegenheit, den Lobgesang auf Janouille zu unterbrechen, der sicher zu Recht angestimmt wurde, aber seiner Meinung doch jetzt fehl am Platze war, um wieder auf die Ereignisse vom Vortag zurückzukommen.«
    Â»Ich bin Ihnen vielleicht so früh am Morgen lästig, Monsieur Lecoq«, sagte er.
    Â»Mir und lästig! Sie haben wohl meinen Wahlspruch nicht gelesen? Stets und ständig vigilant ! So wie Sie mich vor sich sehen, habe ich heute Morgen schon ein Dutzend Besorgungen erledigt und drei meiner Männer mit Nachforschungen in unserer Sache beauftragt. Für uns gibt es kein Däumchendrehen! Ich bin sogar zum Alles für den Schmied gegangen, um Neuigkeiten über Guespin einzuholen.«
    Â»Und was haben Sie erfahren?«
    Â»Was ich vermutet hatte. Mittwoch um Viertel nach zehn Uhr abends hat er einen Fünfhundertfrancschein eingewechselt.«
    Â»Das heißt, er hat ein Alibi?«
    Â»Fast. Wir müssen es, um ganz sicher zu sein, erst von Jenny bestätigen lassen. Und dazu müssen wir sie finden.«
    Der Friedensrichter konnte eine Bewegung des Unwillens nicht unterdrücken.
    Â»Aber das wird sehr lange dauern.«
    Â»Zum Teufel, wieso das? Spätestens bis heute abend.«
    Â»Glauben Sie wirklich?«
    Â»Jedem anderen würde ich antworten: Ich bin mir dessen ganz sicher. Bedenken Sie, dieses Geschöpf ist die Geliebte des Comte de Trémorel gewesen, eines Menschen, der im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. Wenn ein Mädchen wieder in der Gosse landet, nachdem sie ganz Paris ein halbes Jahr lang durch ihre Toilette begeistert hat, versinkt sie nicht einfach wie ein Stein in ebendieser Gosse. Wenn sie schon keinen Freund hat, so wahrscheinlich Gläubiger, die sie verfolgen, beobachten und darauf lauern, daß ihr eines Tages das Glück wieder hold sein wird. Sie sorgt sich nicht weiter um jene, sie mag denken, man habe sie vergessen. Irrtum! Es gibt da eine Kleiderhändlerin, die ich gut kenne. Sie hat mir oft einen Dienst erwiesen. Wir werden sie nach dem Frühstück aufsuchen, und in zwei Stunden werden wir wissen, wo Jenny steckt. Wenn ich nur ebenso sicher wäre, Trémorel aufzuspüren.«
    Vater Plantat lächelte zufrieden. Endlich nahm das Gespräch den gewünschten

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