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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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dieser Mann an, der da auf Valfeuillu lebte? Aber von dem Tag an, da ich wußte, daß er mir meinen kostbarsten Schatz rauben würde, wollte ich ihn mir gründlich unter die Lupe nehmen. Ich hätte mich ja irgendwie schon getröstet, wenn er ihrer würdig gewesen wäre. Ich habe mich also an ihn geheftet, wie Sie sich an die Fersen eines Verdächtigen heften. Wie oft ich nach Paris gefahren bin! Ich übte mich in Ihrem Metier; ich befragte alle, die ihn gekannt hatten, und je mehr ich ihn kennenlernte, desto mehr verachtete ich ihn. Schließlich kam ich hinter die Rendezvous mit Jenny Fancy. Und ich ahnte sein Verhältnis mit Berthe.«
    Â»Warum haben Sie nichts gesagt?«
    Â»Die Ehre gebot mir zu schweigen. Hatte ich das Recht, einen Freund zu brüskieren, sein Glück zu ruinieren, sein Leben zu gefährden, und nur wegen einer grotesken und hoffnungslosen Liebe. Ich habe geschwiegen und mich gehütet, Courtois von Jenny zu erzählen, denn er hätte über das, was man eine Liebschaft nennt, sicher nur gelacht. Wegen eines Dutzend Worte, die ich gegen Hector hatte fallenlassen, hätte Laurence fast ihre Besuche bei mir eingestellt«
    Â»Ich hätte nicht Ihre Geduld und Ihren Langmut gehabt!«
    Â»Sie haben auch nicht mein Alter. Ach, wie ich diesen Trémorel haßte. Indem ich zusah, wie sich drei völlig verschiedene Frauen nach ihm verzehrten, fragte ich mich stets und ständig: Was hat er bloß, daß man ihn so liebt?«
    Â»Ja«, murmelte Monsieur Lecoq und gab sich einem geheimen Gedanken hin, »die Frauen irren sich oft, sie beurteilen die Männer nicht so wie unsereins.«
    Â»Wie oft habe ich daran gedacht, diesen Kerl zu provozieren«, fuhr der Friedensrichter fort, »mich mit ihm zu schlagen, ihn zu töten. Aber dann hätte mich Laurence nicht wiedersehen wollen. Trotzdem hätte ich vielleicht gesprochen, wenn Sauvresy nicht krank geworden und gestorben wäre. Ich wußte, daß er seine Frau und seinen Freund hatte schwören lassen, einander zu heiraten; ich wußte, daß ein furchtbarer Grund sie zwang, sich ihr Jawort zu geben, ich glaubte Laurence gerettet. Aber im Gegenteil – sie war verloren. Als ich eines Abends am Haus des Bürgermeisters vorbeiging, bemerkte ich, wie ein Mann über die Mauer kletterte. Dieser Mann war Trémorel, ich erkannte ihn. Ich verspürte eine nie gekannte Zornesaufwallung, ich schwor mir, ihn zu ermorden, ich wartete. Er erschien diese Nacht nicht mehr.«
    Vater Plantat hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Sein Herz krampfte sich bei der Erinnerung an diese Nacht der Angst zusammen, die er damit verbracht hatte, auf einen Mann zu warten, um ihn zu ermorden.
    Â»Aber dieser Trémorel ist doch ein ganz übler Halunke!« rief Monsieur Lecoq empört. »Seine Schlechtigkeit und seine Verbrechen sind bar jeder Entschuldigung. Und Sie, Herr Friedensrichter, möchten ihm den Gerichtshof ersparen und ihn vor dem Bagno oder dem Schafott bewahren!«
    Der Richter sagte nichts. Wie es bei großen Gefühlsausbrüchen oft ist, wußte er nicht, welche von den vielen Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen, er als erste äußern sollte. Die Worte schienen ihm untauglich, seine Empfindungen auszudrücken. Gern hätte er alles, was er fühlte und wie er fühlte, in einem einzigen Satz ausgedrückt.
    Â»Was schert mich Trémorel«, erwiderte er schließlich. »Ob er lebt oder stirbt, ob ihm die Flucht gelingt oder er eines Morgens auf der Place de la Roquette endet, was geht es mich an!«
    Â»Aber weshalb dann diese Furcht vor einem Prozeß?«
    Â»Es ist wegen...«
    Â»Sind Sie ein Freund seiner Familie? Tut es Ihnen leid, daß der große Name in den Schmutz gezogen wird?«
    Â»Nein, aber ich mache mir Sorgen wegen Laurence. Ich möchte sie aus dem allen raushalten.«
    Â»Aber sie ist nicht seine Komplizin, alles deutet darauf hin, daß sie nichts weiß; sie hat keine Ahnung, daß ihr Geliebter seine Frau ermordet hat.«
    Â»Jaja«, entgegnete Vater Plantat, »Laurence ist unschuldig, Laurence ist nichts weiter als das Opfer eines schäbigen Schurken. Wahrscheinlich wird sie nicht einmal bestraft. Aber wenn Trémorel vor Gericht gestellt wird, dann wird sie ebenfalls erscheinen, als Zeugin, wenn nicht gar als Mitschuldige. Wer weiß, vielleicht verdächtigt man sogar ihre Gutgläubigkeit?

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