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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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wissen Sie alles«, sagte er in ruhigerem Tonfall. »Helfen Sie mir. Ich werde mich erkenntlich zeigen; ich gebe Ihnen die Hälfte meines Vermögens, und ich bin reich...«
    Monsieur Lecoq unterbrach ihn mit einer Geste.
    Â»Genug, Monsieur!« sagte er bitter. »Genug! Ich kann einem Menschen, der mir sympathisch ist, gern einen Dienst erweisen, aber ich lasse mir diesen Dienst nicht bezahlen.«
    Â»Glauben Sie«, stotterte Vater Plantat, »ich wollte nicht...«
    Â»Doch, Monsieur, doch, Sie wollten mich bezahlen. Oh, verteidigen Sie sich nicht, leugnen Sie nicht. Ich weiß nur zu gut, daß es fatale Berufe gibt, in denen man die Ehrlichkeit eines Mannes glaubt kaufen zu können. Warum bieten Sie mir Geld an? Warum halten Sie mich für so gemein, daß ich Geld annehmen würde? Sie sind genau wie die anderen, die keine Vorstellung davon haben, was ein Mann in meiner Position eigentlich ist! Wenn ich reich sein wollte, Herr Friedensrichter, reicher als Sie, dann wäre ich es in vierzehn Tagen. Hier stecken« – und dabei schlug er sich vor die Stirn – »hundert Geheimnisse, die ich morgen für hunderttausend Francs pro Stück verkaufen könnte, und ich wäre ein gemachter Mann.«
    Er war verärgert, das sah man, aber hinter seinem Zorn spürte man eine gewisse Enttäuschung. Wie oft wohl mußte er derartige Ansinnen zurückgewiesen haben.
    Â»Es ist ein seit Jahrhunderten eingewurzeltes Vorurteil«, fuhr er fort. »Versuchen Sie mal zu behaupten, ein Polizeiagent sei viel ehrlicher als was weiß ich für ein Händler oder Notar. Behaupten Sie das, und man wird Sie auslachen, dabei sind die Versuchungen bei ersterem viel größer, aus seiner Ehrlichkeit Kapital zu schlagen. Ich könnte gefahrlos und ungestraft morgen schon für eine Million jemand laufen lassen. Wer wird mir einen Vorwurf machen? Ich habe mein Gewissen, sicher, aber etwas Weitblick mißfiele mir nicht. Wenn es mir so leicht gemacht wird, das, was ich weiß, zu mißbrauchen, so gebührt mir doch ein um so größeres Verdienst, wenn ich es nicht mißbrauche. Und trotzdem geniert sich der Erstbeste – sei es nun ein zwielichtiger Bankier, ein betrügerischer Bankrotteur, ein Konjunkturritter oder ein an der Börse spekulierender Notar –, mit mir gesehen zu werden. Ein Mann von der Polizei – igitt!«
    Vater Plantat war verlegen. Wie – er, ein alter vorsichtiger Richter voller Feingefühl, konnte so eine Ungeschicklichkeit begehen? Er hatte soeben diesen so gut auf ihn zu sprechenden Mann, von dem er alles erwarten durfte, verletzt, tief verletzt.
    Â»Ich bin weit von einer beleidigenden Absicht entfernt gewesen, die Sie mir unterstellen«, sagte er. »Es war einer jener unpräzisen Sätze, die einem manchmal entschlüpfen, ohne daß man sich darüber Gedanken macht, und die nicht von Belang sind.«
    Monsieur Lecoq beruhigte sich.
    Â»Nun gut. Da ich mehr als andere Beleidigungen ausgesetzt bin, werden Sie mir gewiß verzeihen, daß ich auch empfindlicher als andere darauf reagiere. Lassen wir das Thema, es ist mir peinlich, und kommen wir wieder auf den Comte de Trémorel zu sprechen.«
    Der Friedensrichter fragte sich, ob er wohl noch einmal auf sein Vorhaben zurückkommen sollte.
    Â»Ich erwarte nur mehr Ihre Entscheidung«, sagte er.
    Â»Ich will nicht verhehlen«, erwiderte der Polizeibeamte, »daß Sie mich um eine recht heikle Sache bitten, die zudem noch meiner Aufgabe zuwiderläuft. Meine Aufgabe zwingt mich, Monsieur de Trémorel zu suchen, ihn festzunehmen und der Justiz zu übergeben; Sie bitten mich, ihn dem Zugriff des Gesetzes zu entziehen.«
    Â»Wegen einer Unglücklichen, von der Sie wissen, daß sie unschuldig ist.«
    Â»Ein einziges Mal habe ich bisher meine Pflicht verletzt. Ich konnte den Tränen einer armen alten Mutter nicht widerstehen, die mich auf Knien um Gnade für ihren Sohn angefleht hat. Ich habe den Sohn gerettet, und er ist heute ein ehrenwerter Mann. Jetzt werde ich zum zweitenmal meine Befugnisse überschreiten und einen Versuch riskieren, den mir mein Gewissen vielleicht vorwerfen wird: ich füge mich Ihrer Bitte.«
    Â»Oh, Monsieur!»rief Vater Plantat entzückt. »Wie gut Sie sind!«
    Aber der Beamte der Sûreté wirkte ernst, fast traurig; er überlegte.
    Â»Geben wir uns nicht einer Hoffnung hin, die vielleicht

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