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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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eine Vergangenheit wie die meine ist eine schwere Bürde. Endlich ist es mir doch gelungen, in meinem Beruf zu arbeiten. Ich bin geschickt, man hat mir Arbeit verschafft. Ich war damit beschäftigt, Parks zu verschneiden, bis es mir mit Hilfe meines ehemaligen Chefs gelang, hier unterzukommen. Ich fühlte mich wohl. Ich legte den Verdienst nicht auf die hohe Kante, das ist wahr... Was wollen Sie, völlig ändern kann man sich nicht. Aber fragen Sie, ob man sich je über mich beklagt hat...«
    Es gilt als erwiesen, daß unter Kriminellen jene mit einer gewissen Bildung, einer gewissen Weltläufigkeit die gefährlichsten sind. So gesehen, war Guespin äußerst gefährlich.
    Das mußten sich auch die Zuhörer gesagt haben, als er sich, von seinem Bekenntnis erschöpft, den Schweiß von der Stirn wischte.
    Monsieur Domini hatte indes seine Absicht nicht vergessen.
    Â»All das ist sehr beeindruckend«, sagte er, »wir werden zum geeigneten Zeitpunkt darauf zurückkommen. Im Augenblick handelt es sich jedoch nur darum, uns zu sagen, wie Sie die Nacht verbracht und woher Sie das Geld haben.«
    Diese Hartnäckigkeit des Richters schien Guespin zu entnerven.
    Â»Heh!« erwiderte er. »Was wollen Sie denn, was ich Ihnen sagen soll? Die Wahrheit...? Die werden Sie nicht glauben. Also sage ich lieber gar nichts.«
    Â»Ich meine, es ist in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie reden«, beharrte der Untersuchungsrichter, »tun Sie es nicht, werde ich gezwungen sein, Sie als mutmaßlichen Mörder des Comte und der Comtesse de Trémorel festzunehmen.«
    Â»Hah!« schrie Guespin und stampfte vor Wut mit dem Fuß auf. »Ich werde aber nicht reden, ich kann es nicht... Ein einziger Mensch könnte mich retten, das ist Monsieur le Comte, und der ist tot. Ich bin unschuldig, und wenn man nicht die Schuldigen findet, bin ich verloren. Alles ist gegen mich, ich fühle es... Und jetzt machen Sie mit mir, was Sie wollen, ich werde kein Wort mehr sagen.«
    Guespins Entschlossenheit, die er mit seinem Blick noch untermauerte, überraschte den Untersuchungsrichter keineswegs.
    Â»Sie können darüber in Ruhe nachdenken«, sagte er bloß. »Denn es kann ja sein«, und dabei betonte er jedes Wort, als wolle er ihnen einen besonderen Sinn geben, der für den Verdächtigen hoffnungsvoll sein könnte, »es kann ja sein, daß Sie bei diesem Verbrechen nur indirekt beteiligt waren, in diesem Falle...«
    Â»Weder direkt noch indirekt«, unterbrach ihn Guespin, und wütend fügte er hinzu: »Verflucht! Unschuldig sein und sich nicht verteidigen können!«
    Â»Wenn es so ist«, ergriff Monsieur Domini wieder das Wort, »wird es Ihnen sicher nichts ausmachen, sich die tote Madame de Trémorel anzusehen.«
    Das schien dem Verdächtigen in der Tat nichts auszumachen.
    Man führte ihn ins Billardzimmer, wo man die Comtesse niedergelegt hatte. Dort schaute er sie ruhig und unbeeindruckt an. Er sagte nur:
    Â»Sie ist glücklicher als ich, sie leidet nicht mehr, während man mich, der ich unschuldig bin, anklagt, sie getötet zu haben.«
    Monsieur Domini wagte noch einen Versuch.
    Â»Sehen Sie, Guespin«, sagte er, »wenn Sie auf irgendeine Art und Weise etwas über das Verbrechen wissen, ich beschwöre Sie, dann sagen Sie es. Wenn Sie die Mörder kennen, dann nennen Sie sie mir. Versuchen Sie, durch Ihre Offenheit und Ihr Geständnis mildernde Umstände zu bekommen.«
    Guespin machte die wegwerfende Geste aller Unglückseligen, die mit ihrem Los vorliebgenommen haben.
    Â»Bei allem in der Welt, was mir heilig ist«, entgegnete er, »ich bin unschuldig. Trotzdem weiß ich, daß es um mich geschehen ist, wenn man die Schuldigen nicht findet.«
    Nach und nach verdichtete sich das Bild, das Monsieur Domini sich von dem Verbrechen machte. Eine Untersuchung ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. Die Schwierigkeit, ja das Wichtigste überhaupt besteht darin, am Anfang aus einem verworrenen Knäuel das richtige Fadenende zu packen, das allen Listen, Lügen und Tücken des Schuldigen zum Trotz die Wahrheit entrollt.
    Dieses Fadenende in der Hand zu halten war Monsieur Domini gewiß. Er wußte, wenn er einen der Mörder hatte, würde er auch bald die anderen haben. Unsere Gefängnisse, in denen das Essen gut und die Matratzen weich sind, lösen die Zungen genauso leicht wie die

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