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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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ohne falsche Bescheidenheit gestehen«, ergriff letzterer wieder das Wort, »daß ich selten ausgepfiffen wurde. Und trotzdem bin auch ich nicht mit allen Wassern gewaschen. Wie jeder Mensch, habe auch ich meine Achillesferse. Ich habe zwar den Spielteufel besiegt, aber nicht über die Frau triumphiert«
    Er stieß einen gewaltigen Seufzer aus, der von dieser ach so traurigen Geste aller Männer begleitet wurde, die ihr Geschick eher schlecht als recht tragen müssen.
    Â»So ist das nun mal. Es ist so eine Frau, für die ich nichts weiter als ein Dummkopf bin. Jawohl, ich, der Beamte der Sûreté, der Schrecken aller Diebe und Mörder, ich, der seit nahezu zehn, Jahren die Tiefen der menschlichen Verdorbenheit ausmißt, ich, der alles weiß und alles sieht, ich, Lecoq, ich bin ihr gegenüber naiver als ein Kind. Sie betrügt mich, ich merke es, doch sie beweist mir, daß es nicht so ist. Sie lügt, ich weiß es, beweise ihr es sogar... und glaube ihr. Es ist eine von diesen Leidenschaften«, flüsterte er traurig, »die im Alter eher noch angefacht als gelöscht werden und die man mit einem Gefühl von Scham und Ohnmacht empfindet. Man liebt; und die Gewißheit, nicht wiedergeliebt zu werden, gehört zu den Schmerzen, die man erlebt haben muß, um deren Ausmaß zu begreifen. Bei klarem Kopf geht man in sich und denkt: nein, unmöglich, sie ist fast noch ein Kind, und ich bin beinahe schon ein Greis. So sagt man sich, aber ganz im stillen; stärker als die Vernunft, als der Wille, als die Erfahrung brennt das Flämmchen der Hoffnung, und man denkt insgeheim: Wer weiß? Vielleicht doch? Worauf wartet man wohl? Auf ein Wunder? Es wird kein Wunder geben. Unwichtig, man hofft dennoch.«
    Monsieur Lecoq hielt inne, als würde ihn eine starke Regung daran hindern, fortzufahren.
    Vater Plantat hatte währenddessen unverändert an seiner Zigarre gezogen und den Rauch in gleichmäßigen Wölkchen ausgestoßen, doch sein Gesichtsausdruck widerspiegelte Schmerz, seine Augen glänzten feucht, seine Hände zitterten. Er erhob sich, nahm die Lampe vom Kaminsims, stellte sie wieder auf den Tisch und setzte sich.
    Der Sinn dieser Szene erhellte sich nun auch Doktor Gendron.
    Monsieur Lecoq wußte, was er wissen wollte.
    Nach einem kurzen Moment des Schweigens räusperte er sich, als käme er aus tiefem Nachdenken wieder zu sich, und zog seine Uhr.
    Â»Zum Teufel«, sagte er, »ich sitze hier und schwatze, und die Zeit vergeht«
    Â»Und Guespin sitzt im Gefängnis«, bemerkte der Doktor.
    Â»Wir werden ihn von dort herausholen«, antwortete der Polizeibeamte, »denn er ist unschuldig. Dennoch gibt es da einen Fakt von äußerster Wichtigkeit, den ich mir nicht erklären kann.«
    Â»Welchen?« fragte Vater Plantat.
    Â»Wäre es möglich, daß Monsieur de Trémorel ungeheures Interesse daran gehabt haben könnte, irgend etwas zu finden, eine Akte, einen Brief, ein Schriftstück, einen Gegenstand von geringerem Umfang, der in seinem eigenen Haus versteckt war?«
    Â»Ja«, antwortete der Friedensrichter, »das wäre möglich.«
    Â»Darüber brauche ich Gewißheit«, sagte Lecoq.
    Vater Plantat überlegte einen Augenblick.
    Â»Nun denn«, erwiderte er, »ich bin sicher, völlig sicher, daß der Comte, nachdem Madame de Trémorel tot war, sofort das Haus umgekrempelt haben könnte, um ein gewisses Schriftstück wiederzufinden, von dem er wußte, daß es seine Frau haben mußte, das ich jedoch besaß.«
    Â»Na also«, entgegnete Lecoq, »da haben wir ja das Drama. Als ich Valfeuillu betrat, bin ich genauso wie Sie, meine Herren, von der entsetzlichen Verwüstung der Wohnräume schockiert gewesen. Wie Sie habe ich zunächst gedacht, daß dieses Durcheinander nur ein Kunstgriff gewesen wäre. Ich habe mich geirrt. Eine gründlichere Untersuchung hat mich davon überzeugt. Der Mörder, das ist richtig, hat alles kurz und klein geschlagen, die Möbel umgeworfen, die Sessel aufgeschlitzt, um glauben zu machen, es handle sich um eine Bande von Vandalen. Aber inmitten dieser Zerstörungswut bin ich auf die Spuren einer exakten, minutiösen, ja ich würde sogar sagen, geduldigen Durchsuchung gestoßen. Alles schien aufs Geratewohl geplündert worden zu sein; man hatte Möbelstücke, deren Türen man mit der Hand öffnen konnte, mit

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