Das Verbrechen von Orcival
Ãxten bearbeitet, man hatte Schubfächer zertrümmert, die nicht abgeschlossen waren oder deren Schlüssel steckten; war das nicht Wahnsinn? Nein. Denn in Wirklichkeit gab es nicht eine Stelle, an der man hätte einen Brief verstecken können, die nicht sorgfältig durchsucht worden wäre. Die Schubfächer verschiedener Schreibschränke waren herausgezogen und zu Boden geworfen worden, aber die schmalen Zwischenräume zwischen Nuten und Rückwand hatte man genau abgesucht, den Beweis dafür hatte ich, als ich Fingerabdrücke auf dem Staub entdeckte, der auf den Nuten lag. Die Bücher lagen durcheinander auf dem Boden, aber alle hatte man durchgeschüttelt, manche so heftig, daà der Rücken zerrissen worden war. Die Sessel hat man nicht durchstoÃen, um sich einen Spaà daraus zu machen, den Stoff zu zerfetzen, man hat die Polsterung durchsucht.
Mein Verdacht wurde durch die offensichtlich begangene Verwüstung zunächst etwas gedämpft. Ich sagte mir: die Verbrecher haben Geld gesucht, das hier versteckt war, also gehörten sie nicht zum Haus.«
»Nun«, gab der Doktor zu bedenken, »man kann zum Haus gehören und trotzdem nicht wissen, wo das Geld versteckt ist, wie Guespin...«
»Gestatten Sie«, unterbrach ihn Monsieur Lecoq, »ich werde es anders ausdrücken; ich entdeckte Indizien, die darauf hinwiesen, daà der Mörder nur jemand sein konnte, der mit Madame de Trémorel ganz besonders verbunden sein muÃte, wie ihr Geliebter oder ihr Mann. Das war anfangs mein Verdacht.«
»Und jetzt?«
»Jetzt bin ich der Ãberzeugung, daà man etwas anderes als Wertgegenstände gesucht hat. Und ich meine auch, daà der Schuldige der Mann ist, dessen Leichnam man sucht â der Comte Hector de Trémorel.«
Doktor Gendron und Vater Plantat hatten es vermutet, aber keiner von beiden hatte es gewagt, seinen Verdacht offen auszusprechen. Sie hatten nichts anderes als diesen Namen erwartet, aber als er nun mitten in der Nacht in diesem groÃen dunklen Zimmer aus dem Munde des genialen Detektivs erklang, lief den beiden ein Schauer über den Rücken. »Bedenken Sie bitte«, fuhr Lecoq fort, »daà ich sage: ich meine. Das Verbrechen des Comte ist für mich wahrscheinlich, nicht erwiesen. Versuchen wir drei, uns GewiÃheit zu verschaffen und...«
Er wollte weiterreden, aber Doktor Gendron, der direkt neben dem Fenster saÃ, war plötzlich aufgesprungen.
»Da ist jemand im Garten!« sagte er.
Sie liefen zum Fenster. Das Wetter war herrlich, die Nacht sehr klar, und vor den Fenstern der Bibliothek lag eine freie, gut zu überblickende Rasenfläche. Sie schauten hinaus, sie entdeckten niemanden. Monsieur Lecoq fuhr fort:
»Nehmen wir also einmal an, meine Herren, daà Monsieur de Trémorel sich genötigt sah â aus Gründen, über die wir uns später noch klarwerden müssen â, sich von seiner Frau zu trennen. Als er sich zu einem Verbrechen entschlossen hatte, muÃte er ganz sicher sein, daà man es nicht entdecken würde. Wir müssen weiterhin annehmen, daà die Gründe, die ihn zum ÃuÃersten trieben, dergestalt waren, daà er auch für den Fall mit unliebsamen Nachforschungen rechnen muÃte, wenn seine Frau auf natürliche Weise ums Leben käme.«
»Genauso ist es«, stimmte der Friedensrichter bei.
»Monsieur de Trémorel hat sich also dafür entschieden, seine Frau brutal umzubringen und dabei glauben zu machen, daà man auch ihn selbst umgebracht habe; er hatte sich dafür entschieden, alles zu unternehmen, um den Verdacht auf einen Unschuldigen oder zumindest weniger schuldigen Komplizen, als er selbst es war, abzuwälzen. Er hat von vornherein geplant, zu verschwinden, zu fliehen, unterzutauchen, eine andere Identität anzunehmen, kurz, den Comte Hector de Trémorel sterben zu lassen, um unter anderem Namen ein neues Leben zu beginnen.
Das erklärt auch eine Reihe von Umständen, die auf den ersten Blick unlogisch erscheinen mögen. Es erklärt vor allem, weshalb sich in der Nacht der Tat eine beträchtliche Geldsumme auf Valfeuillu befand.
Diese Besonderheit war für mich entscheidend. Wenn man tatsächlich eine so beträchtliche Summe erhält, um sie zu Hause aufzubewahren, dann verheimlicht man das gegenüber anderen, so gut es nur geht.
Monsieur de Trémorel benahm sich alles andere als
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