Das Verbrechen von Orcival
wiederzukommen.
»Leb wohl«, wiederholte sie mehrmals und umarmte Hector, »auf Wiedersehen, denk an mich!« Und lächelnd fügte sie hinzu: »Eigentlich müÃte ich mir ja Sorgen machen, denn im Zug saÃen Herren, die deinen Freund kennen, und sie sagten, seine Frau sei vielleicht die schönste Frau Frankreichs. Ist das wahr?«
»Mein Gott, ich weià es nicht. Ich habe vergessen, sie anzuschauen.«
Hector log nicht. Obwohl es nicht so scheinen mochte, so stand er doch noch unter dem Schock seines miÃlungenen Selbstmordes. Aber die Worte »die schönste Frau Frankreichs« reizte seine Neugier. Seine VergeÃlichkeit konnte er gleich heute abend wiedergutmachen. Als er nach Valfeuillu zurückkehrte, war sein Freund noch nicht da. Madame Sauvresy war allein, sie saà im hell erleuchteten Salon und las.
So setzte er sich ihr gegenüber, tauschte einige nichtssagende Sätze und hatte genug MuÃe, sie ausgiebig zu betrachten. Sein erster Eindruck war nicht günstig für Berthe. Er fand ihre Schönheit zu skulpturenhaft, zu makellos. Er suchte nach etwas Unvollkommenem, und als er es nicht entdeckte, war er über dieses schöne, unbewegte Gesicht fast ein wenig erschrocken. Allmählich jedoch gewöhnte er sich an den Gedanken, mit Berthe ein GroÃteil der Nachmittage zu verbringen, während Sauvresy für ihn unterwegs war, verkaufte, handelte und seine Tage damit zubrachte, um seine Interessen zu kämpfen, sich mit Advokaten und Gläubigern herumstritt. Er hatte bald bemerkt, daà es ihr gefiel, ihm zuzuhören, und so hielt er sie für eine Frau, die weit geistvoller als ihr Mann sein muÃte. Dabei fehlte es ihm gewià an Esprit, aber er verfügte über einen unerschöpflichen Fundus an Anekdoten und seltsamen Erlebnissen. Er hatte so viel erlebt, war so vielen Leuten begegnet, daà er interessant wie eine Chronik war. Und dann besaà er noch immer weltmännische Gewandtheit und einen höflichen Zynismus, der, wenn man ihn noch nicht kannte, ganz reizend war.
Berthe hörte ihm zu, wie man einem Reisenden zuhört, der aus einem dieser fremden Länder kommt, von wo man gewöhnlich kaum zurückkehrt; der Völker gesehen hat, von deren Existenz man nicht einmal etwas gewuÃt hat; der inmitten uns unbegreiflicher Zivilisationen gelebt hat.
Und so gingen die Tage dahin, die Wochen, die Monate, und der Comte de Trémorel langweilte sich auf Valfeuillu nicht so, wie er anfangs vermutet hatte. Er aà und trank reichlich und schlief gut zwölf Stunden. Falls er nicht mit Berthe plauderte, streifte er die übrige Zeit durch den Park, räkelte sich in einem Schaukelstuhl oder ritt aus. Manchmal angelte er sogar. Und er nahm zu. Am Anfang wunderten sich die Besucher von Valfeuillu über die ständige Anwesenheit dieses jungen Mannes, der seinen MüÃiggang wie eine Kanonenkugel hinter sich herschleppte, dann gewöhnten sie sich jedoch an ihn.
Die glücklichsten Tage waren für ihn die, die er mit Jenny in Corbeil verbrachte. Aber es war weniger sie, weswegen er glücklich war, sondern es war der Hauch von früher, den sie aus Paris mitbrachte. Sie kam jeden Dienstag, und ihre Liebe für Hector wuchs eher noch, als daà sie nachlieÃ. Allerdings lief ihr Geschäft nicht so gut, wie sie sich erhofft hatte.
Sauvresy indes langweilte den Comte durch seine unermüdliche Aktivität. Alle zwei, drei Tage fuhr er nach Paris, um sich um die Angelegenheiten seines Freundes zu kümmern. Nachdem er ihn zunächst wie ein lästiges Ãbel ertragen hatte, war der Comte de Trémorel inzwischen so weit, daà er ihn verachtete, ja haÃte. Die gleichmäÃig glückliche Miene Sauvresys machte ihn rasend. Neid auf dessen Geld bewirkte ein übriges. Ein einziger â verwerflicher â Gedanke bestärkte ihn etwas. Sauvresys Glück, sagte er sich, ist das Glück eines Tölpels. Er glaubt, seine Frau sei verrückt nach ihm, dabei kann sie ihn nicht ertragen. Er hatte gespürt, wie sehr Berthe ihren Mann verabscheute.
Berthe hingegen war sich über ihre Gefühle nicht mehr im unklaren. Sie liebte Trémorel. Aber gleichzeitig war sie auÃer sich, bei ihm keine Liebe für sie zu bemerken. Ihre Schönheit war doch nicht unwiderstehlich, wie sie oft hatte sagen hören. Er war ihr gegenüber höflich, sogar galant, aber mehr nicht. Doch zwischen ihm
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