Das Verbrechen von Orcival
und ihr gab es etwas, das sie stärker aneinander kettete als die zerbrechlichen Bindungen des Ehebruchs: ihr gemeinsamer Haà auf Sauvresy.
Sie verdankten ihm beide zuviel. Seine Hand hatte sie von dem Abgrund zurückgerissen, in den sie stürzen würden. Und so waren die Stunden ihrer ersten Rendezvous mehr mit Worten des Zorns als mit Liebesversprechungen angefüllt. Zu bitter war das Gefühl der Schande über ihr Betragen, als daà sie sich dagegen nicht mit Anwürfen gewappnet hätten. Sie übertrafen sich gegenseitig in Behauptungen, daà Sauvresy lächerlich und gehässig sei. Als ob sie sich durch seine Lächerlichkeit â vorausgesetzt, er wäre es wirklich gewesen â hätten freisprechen können.
Wenn unsere Welt tatsächlich so weit gesunken ist, daà Vertrauen Dummheit ist, dann war dieser aufrechte Mann, den man vor seinen Augen und in seinem eigenen Haus betrog, ein Dummkopf. Ein Dummkopf, der seiner Frau und seinem Freund vertraute.
Er ahnte nichts, sondern beglückwünschte sich jeden Tag, daà es ihm gelungen war, Trémorel zu retten und zum Bleiben bewogen zu haben. Bei jeder Gelegenheit wiederholte er den Satz: »Ich bin zu glücklich!«
Berthe wandte all ihre Verstellungskunst auf, um heiter zu wirken. Sie, die früher oft kapriziös, launisch, eigenwillig gewesen war, wurde folgsam bis zur Entsagung und engelhaft sanft. Von ihrem Gatten hing die Zukunft ihrer Liaison ab, und sie tat alles, um ihn in leichtgläubiger Sicherheit zu wiegen. Sie zahlte den schrecklichen Tribut der Ehebrecherinnen, die in ständiger Angst leben, entdeckt zu werden. Ihre Vorsicht war dergestalt, daà niemand in ihrer Umgebung jemals etwas ahnte.
Dennoch war Berthe nicht glücklich.
Diese Liebe verschaffte ihr nicht die himmlischen Genüsse, die sie von ihr erwartet hatte. Sie hoffte, auf Wolken zu entschweben, und sie verblieb doch auf der Erde, um sich an all den gewöhnlichen MiÃhelligkeiten eines unehrlichen Lebens zu stoÃen. Vielleicht erkannte sie, daà sie für Hector nur ein Mittel der Rache war, daà er in ihr nur die Frau liebte, die er einem Freund wegnahm, dessen Sorglosigkeit er beneidete.
Und zu alledem war sie eifersüchtig. Obwohl Monate ins Land gegangen waren, hatte sie nicht erreicht, daà Trémorel mit Jenny brach. Sie wuÃte von dieser Verbindung, wie alle von ihr wuÃten. Jedesmal, wenn sie ihn darum bat, mit dem Mädchen Schluà zu machen, gab er ihr die gleiche â vielleicht gar vorsichtige und kluge, aber für sie niederschmetternde und irritierende Antwort: »Bedenken Sie, Berthe, daà Jenny für uns Sicherheit bedeutet.« Tatsache jedoch war, daà er daran dachte, sich Jennys zu entledigen. Ihr Geschäftsunternehmen machte Schwierigkeiten. Und das relativ mittellose Mädchen wurde fordernd und lästig wie eine Klette, denn in ihrer Verzweiflung klammerte sie sich immer stärker an Hector. Oft machte sie ihm eine Szene, behauptete, er wäre nicht mehr derselbe; weinte und war traurig.
Sie wird unerträglich, dachte er, und wenn ich eines Tages nicht komme, bringt sie es fertig, mich in Valfeuillu aufzusuchen und einen Riesenskandal zu machen. Deshalb nahm er seinen ganzen Mut zusammen â die Klagen und Tränen Berthes taten ein übriges â und begab sich nach Corbeil, entschlossen, mit ihr zu brechen, koste es, was es wolle. »WeiÃt du, Jenny, wir müssen vorsichtig sein«, sagte er, »und uns eine gewisse Zeit nicht treffen. Ich bin ruiniert, wie du weiÃt, allein eine Heirat kann mich retten.«
Hector hatte sich auf einen entsetzlichen Wutausbruch vorbereitet, auf durchdringendes Geschrei, Nervenzusammenbrüche und Ohnmachten. Nichts dergleichen. Zu seiner gröÃten Ãberraschung sagte Jenny kein Wort. Nur ihre Lippen waren blutleer geworden.
»So«, preÃte sie zwischen den Lippen hervor, »du heiratest.«
»Ich muà es, mein Gott!« antwortete er mit einem heuchlerischen Seufzen. »Ich konnte dir doch nur behilflich sein, wenn mir mein Freund etwas geborgt hat. Seine Börse wird mir nicht ewig zur Verfügung stehen.«
Jenny nahm Hector an der Hand und zog ihn zum Fenster. Sie betrachtete ihn im hereinfallenden Tageslicht eindringlich, als könne sie in seinen Zügen lesen, ob er die Wahrheit sage. Leise meinte sie: »Es stimmt, nicht wahr, du verläÃt mich, um dich zu
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