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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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nichts dazwischen: entweder der Ehemann oder der Geliebte. »Er« ist niemals indifferent. Ein Mann ist an dem Tag verloren, da seine Frau »er« sagt, wenn sie von ihm spricht.
    Aber wann hatte Berthe diese Zeilen geschrieben? Zweifellos eines Abends, nachdem sie sich beide in das eheliche Schlafgemach zurückgezogen hatten. Sicher hatte er zu ihr gesagt: »Ich muß morgen nach Melun«, und sofort hatte sie in aller Eile diesen Zettel geschrieben und ihn zusammengefaltet in ein Buch gelegt, das sie ihrem Geliebten überreicht hatte.
    Ihr Geliebter! Er sagte das Wort laut, wie um es sich bewußt zu machen, wie um sich von der schrecklichen Wirklichkeit zu überzeugen.
    Â»Meine Frau, meine Berthe, hat einen Geliebten...!«
    Das Gebäude seines Glücks, das ihm so solide vorgekommen war, daß es allen Stürmen des Lebens getrotzt hätte, war zusammengestürzt, und er saß inmitten der Trümmer. Er hatte Berthe so geliebt, daß sie ein Stück von ihm selbst geworden war, daß er sich selbst nicht mehr verstand ohne sie. Wenn er Berthe verloren hatte, so sah er auch keinen Sinn mehr im Leben. Er spürte, wie alles in ihm zerbrach. Er hatte sein Jagdgewehr bei sich, man würde seinen Tod einem Jagdunfall zuschreiben. Schluß. Aus.
    Ja, aber sie!
    Ha! Sie würden natürlich ihre Komödie weiterspielen, scheinbar trauern und in Wahrheit im Glück schwelgen. Kein Ehemann mehr, keine Vorsicht, keine Listen, keine Angst. Sein Testament vermachte alles Berthe, sie wären reich. Sicher würden sie alles verkaufen und sich in aller Freizügigkeit weit weg lieben können, in Italien, in Venedig, Florenz... Ihm würde nur übrigbleiben, in ihrer Erinnerung als ein lächerlicher, vertrauensseliger Trottel von Ehemann weiterzuleben.
    Â»Niemals!« schrie er aufgebracht. »Niemals! Ich werde mich umbringen, doch vorher räche ich mich noch!«
    Aber sosehr er auch überlegte, er fand im Augenblick noch kein Mittel der Rache, das grausam und schrecklich sein würde. Man mußte abwarten, und er schwor sich, bis zum geeigneten Zeitpunkt zu warten und so lange weiterhin die Miene des gutgläubigen Ehemanns zur Schau zu stellen. Als er nach Valfeuillu zurückkehrte, war es ihm mit Erfolg gelungen, sein übliches Gesicht aufzusetzen und den Frohsinn auf seine Züge zu zaubern.
    Man hatte mit dem Essen auf ihn gewartet, aber er brachte es nicht fertig, am Tisch neben diesem Mann und dieser Frau, seinen ärgsten Feinden, Platz zu nehmen. Er erklärte, daß ihm kalt sei und er sich nicht wohl fühle und zu Bett gehen wolle.
    Â»Haben Sie es bemerkt, Hector?« fragte Berthe, als sich Sauvresy entfernt hatte.
    Â»Was?«
    Â»Mit meinem Mann stimmt etwas nicht.«
    Â»Das ist wohl möglich, wenn er den ganzen Tag im Regen herumgelaufen ist.«
    Â»Nein, das ist es nicht. Er hat einen Ausdruck im Gesicht, den ich nicht an ihm kenne.«
    Â»Mir scheint er fröhlich wie immer.«
    Â»Hector! Mein Mann hat einen Verdacht«
    Â»Was? Der arme liebe Kleine, er hat doch viel zuviel Vertrauen zu uns, als daß er eifersüchtig wäre.«
    Â»Sie irren, Hector, er hat mich nicht geküßt, als er nach oben ging. Und das zum erstenmal seit unserer Hochzeit.«
    So hatte Sauvresy gleich zu Beginn einen Fehler gemacht. Er hatte es sogar gemerkt, aber Berthe jetzt zu küssen wäre über seine Kräfte gegangen. Also litt er mehr, als er angenommen hatte.
    Seine Frau fand, als sie zu Bett ging, ihren Gatten fieberglühend vor. Sie schickte sofort nach einem Arzt, der erklärte, man müsse abwarten. Am nächsten Tag ging es ihm noch schlechter.
    Von da an gaben der Comte de Trémorel und Madame Sauvresy ein schönes Beispiel wunderbarer Nächstenliebe. Dachten sie, dadurch ihr Vergehen wiedergutzumachen? Es ist zu bezweifeln. Vielmehr versuchten sie die öffentliche Meinung zu beeinflussen, denn natürlich interessierte sich jeder für Sauvresys Zustand. Sie ließen ihn keine Minute allein und wachten nachts, einander ablösend, an seinem Bett. Sicher, das war anstrengend. Denn Sauvresy hatte schlimme Fieberanfälle. Und zwei- oder dreimal war es vorgekommen, daß er sein Bett verlassen und sich aus dem Fenster stürzen wollte. Am dritten Tag hatte er einen rätselhaften Anfall. Er wollte absolut nicht mehr in seinem Zimmer bleiben und schrie wie ein Verrückter:
    Â»Bringt mich weg von

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