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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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werde nie jemand anderen als Sie lieben.«
    Er hoffte, er könne Berthe durch solche falschen Liebesschwüre bis zur Hochzeit beruhigen. Und erst einmal verheiratet, würde er sich wirklich keine Sorgen mehr machen, was dann käme. Was ging ihn Sauvresy an! Das Leben des Starken ist nur eine ununterbrochene Kette gebrochener Freundschaften. Was ist denn überhaupt ein Freund? Ein Wesen, den man benutzen kann und muß. Das Geschick bestand einzig und allein darin, sich zu dem Zeitpunkt dieser Leute zu entledigen, wenn sie aufhörten, einem von Nutzen zu sein.
    Â»Hören Sie«, sagte Berthe schließlich zu Hector, nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte. »Ich kann mich nicht so einfach von heute auf morgen in das Opfer schicken, das Sie von mir fordern. Lassen Sie mir noch einige Tage Zeit, um mich mit dem schrecklichen Schlag abzufinden. Warten Sie..., Sie müssen versprechen, damit zu warten, bis es Clément besser geht.«
    Er hatte nicht erwartet, daß sie so nachgiebig reagieren würde. Der Gedanke an eine Falle kam ihm nicht. Er umarmte sie und sagte voller Begeisterung:
    Â»Ah! Sie sind so gut. Sie lieben mich wirklich.«
    * * *
    D er Comte de Trémorel nahm nicht an, daß die von Berthe erbetene Frist lange dauern würde. Seit einer Woche schien es Sauvresy besser zu gehen. Er stand auf, lief im Haus herum und empfing sogar den Besuch der zahlreichen Freunde aus der Nachbarschaft, ohne Anzeichen von Erschöpfung zu verspüren.
    Aber dennoch war der Schloßherr von Valfeuillu nur noch ein Schatten seiner selbst. Wachsbleich, hohlwangig, auf schwankenden Beinen und mit düsterem Blick, erkannte man kaum den jungen, rotlippigen und freudestrahlenden Mann wieder, der am Restaurant von Sèvres Trémorels Hand zurückgehalten hatte.
    Er hatte soviel gelitten! Ein dutzendmal hatte er an der Schwelle des Todes gestanden, und ein dutzendmal hatte er sich mit unglaublicher Willenskraft wieder erholt. Er wollte nicht sterben, bevor er sich an den Menschen gerächt hatte, die ihm sein Glück, sein Leben vergällten.
    Es gibt im gewöhnlichen Leben drei Möglichkeiten, dessen sich der betrogene Ehemann bedienen kann, um Wut und Haß zu befriedigen. Er hat das Recht – ja geradezu die Pflicht –, seine Frau und deren Komplizen vor Gericht zu bringen. Das Gesetz ist auf seiner Seite. Er kann den Schuldigen auflauern und sie sogar töten. Es gibt einen Passus im Strafgesetzbuch, der ihn der Schuld nicht entbindet, aber sie entschuldigt. Und zu guter Letzt hindert ihn nichts daran, Gleichmut zur Schau zu tragen, zuletzt aber am besten zu lachen und seine Frau davonzujagen, ohne sich weiter um ihr Wohlergehen kümmern zu müssen.
    Aber was ist das für eine armselige Rache!
    Seine Frau vor Gericht bringen? Sein Herz bloßstellen, Schande über sich bringen, seinen Namen, seine Ehre, sein Leben zum Gespött der Leute machen? Sich auf Gedeih und Verderb einem Advokaten ausliefern, der vielleicht jede Intimität breittritt? Man verteidigt doch nicht die ehebrecherische Frau, sondern attackiert in der Öffentlichkeit eher ihren Mann. Und welche Genugtuung hätte er denn? Berthe und Trémorel würden zu einem, anderthalb, höchstens zwei Jahren Gefängnis verurteilt.
    Die Schuldigen zu töten wäre einfacher. Dennoch. Er würde mit dem Revolver in der Hand vor sie treten und abdrücken – sie wären ja sofort tot. Und dann? Man würde ihn verhaften, es gebe einen Prozeß, er könnte auf mildernde Umstände hoffen, jedoch verurteilt werden, und erneut zerrisse man sich über ihn das Maul.
    Jagte er jedoch seine Frau davon, würde er sie direkt Trémorel in die Arme treiben. Er müßte mitansehen, wie sie Hand in Hand Valfeuillu verlassen und sich glücklich und hämisch über ihn, den armseligen Hampelmann, lustig machen würden.
    Keine dieser Möglichkeiten befriedigte seine Rachelust. Er suchte nach etwas Unerhörtem, Bizarrem, nie Dagewesenem, das ihn für sein Leiden und die ihm zugefügte Beleidigung entschädigen sollte. Er zermarterte sich den Kopf, versuchte sich all der finsteren Geschichten, die er gelesen hatte, zu erinnern. Er konnte abwarten, den geeigneten Augenblick abpassen, denn mit seinem Leben hatte er bereits abgeschlossen.
    Eine einzige Sache konnte seine Pläne gefährden. Das war der Brief, den er Jenny entrissen hatte. Was war aus ihm geworden?

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