Das Verbrechen von Orcival
meinem Tod leiden werden. Aber wenn sie mein Leiden mildern wollen, so mögen sie hier vor euch schwören, einander nach meinem Tod zu heiraten. Ach, liebe Freunde, das erscheint euch sicher in solch einem Augenblick grausam, aber Leid vergeht. Ihr seid jung, das Leben liegt noch vor euch. Ich flehe euch an, erfüllt die Bitte eines Sterbenden.«
Sie muÃten. Sie näherten sich Sauvresys Bett, der Berthes Hand in die Hectors legte.
»Ihr schwört, mir meinen Willen zu erfüllen?«
Sie waren kreidebleich und einer Ohnmacht nahe. Sie antworteten jedoch, so daà jeder sie hören konnte:
»Wir schwören es.«
Die Dienstboten zogen sich, von dem Vorgang mehr als beeindruckt, zurück, und Berthe murmelte:
»Oh, ist das infam, ist das schrecklich.«
»Infam, gewië, flüsterte Sauvresy, »aber nicht infamer als deine Zärtlichkeiten, Berthe, dein Händedruck, Hector..., als eure Pläne..., eure Hoffnungen...«
Seine Stimme erlosch in einem Röcheln.
Sein Todeskampf begann. Er wurde von Krämpfen geschüttelt, zwei- oder dreimal schrie er auf: »Mir ist kalt!« Sein Körper war in der Tat eiskalt, und nichts konnte ihn erwärmen. Hoffnungslosigkeit machte sich im Haus breit, man hatte nicht mit einem so baldigen Ende gerechnet. Die Dienstboten liefen bestürzt umher und sagten sich: Er verläÃt uns, unser Herr, unsere arme Frau!
Doch schon bald hörten die Zuckungen auf. Er lag auf dem Rücken und atmete so schwach, daà man schon glaubte, alles wäre zu Ende. Gegen zwei Uhr nachts schlieÃlich röteten sich plötzlich seine Wangen, ein Zittern durchlief seinen Körper. Er stützte sich auf sein Kopfkissen, streckte den Arm zum Fenster hinaus und schrie mit brechendem Auge:
»Da, hinter dem Vorhang, ich sehe sie!«
Ein Krampf warf ihn aufs Kissen zurück.
Clément Sauvresy war tot.
* * *
S eit etwas mehr als fünf Minuten hatte der Friedensrichter die Lektüre seines umfangreichen Dossiers beendet, und seine Zuhörer, der Beamte der Sûreté und der Arzt, standen noch ganz unter dem Eindruck dieses ungeheuerlichen Berichts. Vater Plantat hatte tatsächlich ein unnachahmliches Talent, jedem, der ihm zuhörte, in seinen Bann zu schlagen. Er sprach mit einer Leidenschaft, als sei er persönlich dabeigewesen und verfolge in dieser undurchsichtigen Sache auch eigene Interessen.
Monsieur Lecoq faÃte sich als erster wieder.
»Ein verwegener Kerl, dieser Sauvresy«, sagte er.
Was ihn bei dieser Sache beeindruckte, das war Sauvresys auÃerordentlicher Weitblick. Was er bewunderte, das war dieses »gut gespielt« in einer Partie, in der er sein Leben lassen würde.
»Ich kenne keinen«, fügte er hinzu, »der von so furchtbarer Entschlossenheit ist. Sich so ganz doucement von dieser Frau vergiften zu lassen... brrrr..., mir läuft es kalt über den Rücken, wenn ich daran denke.«
»Er hat es verstanden, sich zu rächen«, murmelte Doktor Gendron.
»Ja«, entgegnete Vater Plantat, »ja, Doktor, er hat es verstanden, sich zu rächen, grausamer noch, als wir uns das hätten vorstellen können.«
Der Polizeibeamte war aufgestanden. Mehr als drei Stunden hatte er auf seinem Sessel interessiert dem Bericht gelauscht, jetzt spürte er seine steif gewordenen Gelenke.
»Der Herr Friedensrichter möge entschuldigen«, sagte er, »ich für meinen Teil kann mir sehr gut ein Bild machen von der höllischen Existenz, die für die Giftmischer nach dem Tode ihres Opfers begonnen haben muÃ. Sie haben uns das meisterhaft geschildert. Sie erstehen nach ihrer Analyse leibhaftig vor uns.«
Er sprach sehr beherzt, aber gleichzeitig versuchte er herauszubekommen, welche Wirkung sein Lob auf Vater Plantat machte. Wo, zum Teufel, hat dieser Mann die ganzen Details her, fragte er sich. Hat er das Ganze verfaÃt? Wenn nicht, wer dann? Und warum hat er, wenn er schon soviel davon wuÃte, nichts gesagt? Vater Plantat schien den fragenden Blick von Monsieur Lecoq nicht zu bemerken.
»Ich weië, sagte er, »daà die Leiche Sauvresys noch nicht erkaltet war, als seine Mörder schon aufeinander losgingen.«
»Leider hatte Sauvresy den Fall vorausgesehen, da seine Witwe den Rest aus dem blauen Fläschchen weiterverwenden würde«, bemerkte Doktor Gendron.
»Oh, er war stark«, steuerte Lecoq bei, »sehr
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