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Das Verbrechen von Orcival

Das Verbrechen von Orcival

Titel: Das Verbrechen von Orcival Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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stark.«
    Â»Berthe«, so fuhr Vater Plantat fort, »konnte es Hector nicht verzeihen, daß er nicht zum Revolver gegriffen und seinem Leben ein Ende gemacht hatte.«
    Â»Und die Öffentlichkeit hat nichts von dem schrecklichen inneren Kampf gewußt?«
    Â»Die Öffentlichkeit hat niemals etwas geahnt.«
    Â»Unglaublich!«
    Â»Sie sagen es, Monsieur Lecoq. Eine perfekte Verstellung. Fragen Sie den erstbesten aus Orcival, er wird Ihnen dasselbe sagen wie der brave Courtois heute morgen dem Untersuchungsrichter: der Comte und die Comtesse waren ein musterhaftes Ehepaar. Sogar ich, der ja wußte, was passiert war, bin mir manchmal nicht mehr sicher gewesen.« Monsieur Lecoq wollte hier einhaken, doch da sagte Vater Plantat schon:
    Â»Die niederträchtigen Verbrecher wurden grausam bestraft, man soll ihnen keine Träne nachweinen; alles wäre demnach wohl zum Besten bestellt, wenn nicht Sauvresy, blind vor Haß und nur von dem Gedanken an Rache beseelt, nicht selbst eine Unbesonnenheit begangen hätte, die für mich fast genauso wie ein Verbrechen ist.«
    Â»Ein Verbrechen!« rief der Doktor überrascht aus. »Sauvresy! Ein Verbrechen?«
    Monsieur Lecoq lächelte still vor sich hin und sagte kaum vernehmbar: »Laurence.«
    So leise er auch flüsterte, Vater Plantat hatte ihn verstanden. »Jawohl, Monsieur Lecoq«, erwiderte er ernst, »ja, Laurence. Sauvresy hat abscheulich gehandelt an dem Tag, da er beschloß; sie zu seiner Komplizin, besser gesagt zu dem Werkzeug seiner Rache zu machen. Erbarmungslos hat er sie zwischen zwei Mühlsteine geworfen, ohne sich zu fragen, ob sie nicht zermahlen werden würde. Denn durch Laurences Namen hat er Berthe gezwungen, am Leben zu bleiben. Und außerdem kannte er Trémorels Leidenschaft für sie, er wußte von der Liebe des jungen Mädchens, und er wußte auch, daß sein Freund zu allem fähig war. Er, der alles so weitblickend vorausgesehen hatte, was seiner Rache nur entgegenkam, hielt es nicht für nötig, vorauszusehen, daß Laurence verführt und entehrt werden konnte; schutzlos lieferte er sie der Verführung des feigsten und widerwärtigsten Charakters aus.«
    Der Polizeibeamte überlegte.
    Â»Es gibt da einen Umstand«, warf er ein, »den ich mir nicht erklären kann. Wieso haben sich die beiden Komplizen, die gegen ihren Willen und wider ihre kreatürliche Natur durch diesen unbändigen Willen Sauvresys aneinandergekettet waren, nicht am Tag nach ihrer Hochzeit getrennt, da sie ja dann nicht nur im Besitz des Vermögens, sondern auch des Schriftstücks sein mußten, das ihr Verbrechen bewies?« Der Friedensrichter schüttelte den Kopf.
    Â»Ich merke, daß es mir nicht völlig gelungen ist, Ihnen Berthes furchtbaren Charakter ganz zu enthüllen. Hector wäre mit Freuden zu einer Trennung bereit gewesen, seine Frau jedoch nicht. Ha! Sauvresy kannte sie nur zu gut. Sie spürte, daß ihr Leben vertan war, furchtbare Gewissensbisse quälten sie, sie brauchte ein Opfer, eine Kreatur, an dem sie ihr Mütchen kühlen konnte. Dieses Opfer war Hector. Einmal in ihren Klauen, hätte sie ihn um nichts in der Welt wieder losgelassen.«
    Â»Ach, mein Gott!« bemerkte Doktor Gendron. »Dieser Trémorel war auch zu verzagt. Was hatte er denn zu fürchten, wenn Sauvresys Manuskript erst einmal vernichtet war?«
    Â»Wer sagt Ihnen denn, daß es das tatsächlich war«, sagte der Friedensrichter.
    Bei dieser Antwort unterbrach Lecoq sein Hin- und Hergehen und setzte sich Vater Plantat gegenüber.
    Â»Ha!« rief er aus und schlug sich an die Stirn, als sei ihm diese Erleuchtung eben erst gekommen. »Derjenige, bei dem das Manuskript versteckt gewesen ist, waren Sie, Herr Friedensrichter!«
    Â»Ja, das war ich«, erwiderte Vater Plantat. »Am Tag der Hochzeit der verwitweten Madame Sauvresy und des Comte Hector habe ich mich entsprechend dem Letzten Willen meines verstorbenen Freundes nach Valfeuillu begeben und Madame und Monsieur de Trémorel zu sprechen gewünscht. Obwohl sehr beschäftigt, empfingen sie mich sofort in dem kleinen Salon im Erdgeschoß, wo der arme Clément verstorben war. Sie waren beide sehr bleich und furchtbar verwirrt. Sicher ahnten sie den Grund meines Besuchs. Nachdem ich beide begrüßt hatte, überreichte ich Berthe, wie es der Wille Sauvresys vorgesehen hatte, die Akte.

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