Das verfluchte Koenigreich
»Achat für die Erde«, intonierte er. Dann hob er einen anderen Stein auf, der weiß schimmerte. »Quarz für die Luft«, fuhr er fort und legte den Stein neben den ersten. Zwei weitere Steine, einer rot und einer blau, folgten. »Für Feuer und Wasser.« Dann legte Hollin seine Hände auf die Steine. »Erde, Wasser, Feuer und Luft.« Er bettete die Steine auf die gescheckte Haut des weißen Stiers. »Segne diese Zeit und segne diesen Ort und segne alle unsere Taten.«
Tania hielt den Atem an und wartete darauf, dass etwas Magisches passieren würde, aber Hollin stand einfach auf und befahl dem Mann, die Steine wieder in das Fell zu wickeln.
»Hast du so was schon mal gesehen?«, flüsterte Tania ihrer Schwester zu.
»Nein, noch nie«, erwiderte Rathina. »Das alles ist höchst seltsam. Was mag es nur bedeuten?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer.«
»Bringt mich zu den Kranken«, verlangte Hollin. »Ich möchte sofort mit der Arbeit beginnen.«
Angeführt von Cornelius und Lord Aldrich kehrte die Abordnung zum Palast zurück. Hollin ging zwischen den beiden Herzögen, den Kopf gesenkt, als würde er ihnen andächtig zuhören, während sie ihm ihr Leid klagten. Die Gehilfen des Heilers schritten hinterher und ihre weißen Stäbe polterten auf das Pflaster.
Tania ging neben einem der Männer. »Hattet ihr eine angenehme Reise?«, fragte sie.
Der Mann lächelte und neigte höflich den Kopf.
»Wir hoffen alle, dass ihr Wunder vollbringen könnt«, fügte Tania hinzu. »Versteht … äh … Master Hollin etwas von Wundern?«
Der Mann lächelte noch breiter, dann schaute er weg, ohne etwas zu sagen.
Nicht gerade sehr gesprächig , dachte Tania. Aber das war ihr egal, Hauptsache, der Heiler würde die Krankheit besiegen.
Der Heiler stand auf der Schwelle zum Blauen Saal. Die Flügeltür war aufgestoßen worden und der Raum erglühte im goldenen Licht der schwebenden Kokons. Über fünfzig Kranke waren jetzt hier untergebracht, die alle in den Güldenschlaf versetzt worden waren. Solange der König wach blieb, konnte ihnen nichts geschehen.
Titania trat näher, um den Heiler zu begrüßen, und strich sich erschöpft eine Haarlocke aus der Stirn.
»Wie ich höre, kommt Ihr aus dem Land Alba«, begann sie. »Ich möchte gern mehr über Euer Leben und Eure Reisen erfahren, wenn die Zeit es gestattet.«
»Ich stehe Euch mit Freuden zur Verfügung, Euer Gnaden«, erwiderte Hollin.
»Meine Töchter haben bisher erfolglos nach einem Heilmittel gesucht«, fuhr Titania fort. »Kein Buch und kein Kraut brachte uns weiter. Ich fürchte, wir sind mit unserer Weisheit am Ende.«
»Seid beruhigt, Euer Gnaden«, sagte Hollin. »Ich werde tun, was immer ich vermag.« Er runzelte die Stirn und fügte hinzu: »Ich spüre großes Leiden hier – die Auren dieser Leute sind brüchig.« Angewidert verzog er das Gesicht und wich von der Tür zurück.
Sofort waren seine Anhänger an seiner Seite und bildeten einen Kreis um ihn. Ihre Gesichter zeigten nach außen und sie hielten die Holzstäbe in den Händen, wie zur Verteidigung.
»Das Leiden ist allgegenwärtig, wenn viele Kranke an einem Ort sind«, sagte der Heiler. »Ich muss mir ein einzelnes Opfer ansehen, um die Natur der Seuche zu erkennen.«
»Cordelia ist allein«, sagte Rathina. »Und sie ist ganz in der Nähe – wir können Euch zu ihr bringen.«
»So sei es«, sagte Hollin. Der schützende Ring, den seine Gehilfen bildeten, öffnete sich und Rathina führte sie den Gang entlang zu Cordelias Gemächern.
Der Heiler sprach von »Seuche«, als sei ihm der Begriff vertraut, während nur wenige hier das Wort gekannt hatten, ehe die Krankheit aufgetreten war. Aber Hollin kam ja auch nicht aus dem Elfenreich – er war aus Alba. Vielleicht konnte er ihnen tatsächlich helfen.
Als sie in Cordelias Zimmer kamen, saß Bryn auf dem Boden, mit dem Rücken zur Tür. Er sah erschöpft aus, stand aber trotzdem auf, um Hollin zu begrüßen.
»Seid Ihr der Heiler?«, fragte er und musterte den Ankömmling kritisch. »Ihr kommt aus Alba, heißt es. Doch außer unserer Königin ist seit vielen Tausend Jahren niemand mehr von diesem fernen Ort an die Gestade des Elfenreichs gelangt. Warum seid Ihr nach Weir gekommen?«
»Tretet beiseite, Master Bryn«, befahl Lord Aldrich. »Es steht euch nicht zu, diesen Mann zu befragen.«
Bryn warf dem Lord einen langen Blick zu, als überlegte er, ob er ihm widersprechen sollte. Dann trat Edric vor und legte eine Hand auf Bryns Arm.
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