Das verfluchte Koenigreich
gelangen.
Jetzt waren sie am Kai versammelt und warteten schweigend auf die Ankunft des Heilers. Tania und Rathina standen Seite an Seite am Wasserrand, etwas abseits von den anderen Lords und Ladys des Elfenreichs.
Lord Aldrich in seinem pelzverbrämten schwarzen Umhang führte das Begrüßungskomitee an. Edric, sein Vasall, stand direkt hinter ihm, ebenfalls in Schwarz gekleidet. Er schaute einen Augenblick zu Tania herüber, dann wandte er den Blick ab. Sein Gesicht war ausdruckslos.
Ich habe ihn verloren, dachte Tania. Für immer verloren.
Rathina streichelte tröstend über Tanias Arm, als ob sie ihren Schmerz spürte.
Tania lächelte sie an, sie war froh, ihre Schwester bei sich zu haben.
Alle Herzogtümer waren am Kai vertreten, außer Mynwy Clun, denn Graf Valentyne konnte nicht kommen und Eden wollte ihren Mann nicht schon wieder allein lassen. Herzog Cornelius vertrat Oberon, denn der König war ebenfalls im Palast geblieben, weil er seine ganze Kraft brauchte, um den Güldenschlaf aufrechtzuerhalten. Auch Titania, Hopie und Sancha waren zurückgeblieben, um über die Kranken und Gesunden zu wachen. Hopie suchte noch immer fieberhaft nach einer Tinktur gegen die Seuche und wollte ihre Arbeit nicht unterbrechen.
Tania starrte aufs Meer hinaus und verdrängte den Gedanken an eine Zukunft ohne Edric.
»Er kommt!«, rief Lord Aldrich schließlich.
Jenseits der Felsen, die das Hafenbecken bildeten, tauchte eine Mastspitze auf und eine leuchtend gelbe Flagge wehte im Wind. Kurz darauf kamen gelbe Segel in Sicht.
Ein Raunen ging durch die Menge, als das Schiff des Heilers den steinernen Wellenbrecher umrundete. Der Schoner hatte alle Segel gehisst und der schlanke Rumpf glitt anmutig durch das schäumende Wasser.
Tania beobachtete gespannt, wie die leuchtenden Segel gerefft wurden. Taue wurden vom Schiff herübergeworfen und ein paar Diener rannten nach vorne, um sie aufzufangen und an den Steinpollern festzuzurren. Dann wurde eine Gangway heruntergelassen.
Lord Aldrich trat vor, um den Mann zu begrüßen, der jetzt auftauchte.
Tania hatte sich die Ankunft des Heilers ganz anders vorgestellt – sie hatte dunkle, unheimliche Gestalten und tief in die Stirn gezogene Kapuzen erwartet. Doch nun lächelte sie beinahe, als sie ihn sah.
Hollin war groß und breitschultrig, trug ein einfaches gelbes Gewand, das in der Taille geschnürt war. Er hatte ein altersloses Gesicht mit einer hohen Stirn und tief liegenden smaragdgrünen Augen. Sein helles Haar hing ihm bis über die Schultern. Das schmale weiße Band um seinen Kopf war mit einem leuchtend blauen Stein verziert, der wie eine saphirblaue Flamme im Sonnenlicht funkelte.
»Seid uns willkommen, Master Hollin«, rief Lord Aldrich. »Ihr kommt gerade rechtzeitig – unser Reich ist in großer Not.«
»Habt Dank, Mylord«, erwiderte der Heiler. Er blieb auf der Gangway stehen und musterte die Menge, die sich zu seiner Begrüßung versammelt hatte. Tania glaubte, ein leichtes Stirnrunzeln wahrzunehmen, als sein Blick auf sie fiel, aber es geschah so schnell, dass sie nicht sagen konnte, ob es vielleicht nur Einbildung war.
Rathina flüsterte Tania ins Ohr: »Ich hatte ihn mir … ich weiß nicht … dunkler vorgestellt, da er doch aus Weir kommt. Aber dieser Mann scheint ganz von Sonnenlicht durchflutet. Das ist gewiss ein gutes Omen.«
»Na, hoffentlich«, sagte Tania.
Hollin schritt jetzt die Gangway zum Kai hinunter. Vor Lord Aldrich deutete er eine Verbeugung an. »Mylord.«
»Steht auf, mein Freund«, sagte Lord Aldrich. »Es gibt viel zu tun.«
Auf dem Schiff tauchten jetzt die Gehilfen des Heilers auf, die in hellgrüne Tuniken gekleidet waren. Langsam schritten sie die Gangway herunter. Alle hielten weiße Holzstäbe in der Hand und einer hatte ein Fellbündel im Arm.
»Seid willkommen, Master Hollin«, begrüßte ihn nun auch Herzog Cornelius. »Wir brauchen dringend Eure Hilfe. Wollt Ihr uns zum Palast begleiten?«
»Nur einen kurzen Moment, Mylord, wenn Ihr gestattet«, entgegnete Hollin. Er drehte sich um und gab dem Mann mit dem Fellbündel ein Zeichen. »Zuerst möchte ich einen Segen über unsere Reise sprechen.«
Der Gehilfe des Heilers kauerte sich nieder und breitete behutsam das Bündel aus. Tania trat näher und sah, dass er eine Tierhaut ausrollte, die eine Sammlung von farbigen Edelsteinen enthielt.
Hollin ging in die Knie und las einen braun-grünen Stein auf, den er an seine Stirn führte und dann auf den Boden legte.
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