Das vergessene Zepter
beiden Diebe betrachten, für die weder Jeron noch die Ritterin Interesse zeigten. Es handelte sich um zwei halbwüchsige Knaben mit geschorenem Haar. Sie trugen dunkelblaue oder schwarze Kutten, beide waren sie vollkommen unbewaffnet und auch sonst nicht ausgerüstet. Nicht einmal Proviant trugen sie bei sich. Während Hellas sich mit dem Heilsalz um Eljazokad kümmerte, fand Rodraeg heraus, daà die Handinnenflächen der beiden toten Jungen beschriftet waren, in einer Sprache, die Rodraeg nicht kannte. Da sie ohnehin noch warten muÃten, bis Eljazokad wieder gehen konnte, zündete Rodraeg seine Laterne an und machte eine Abschrift der fremdartigen Zeichen in sein wellig gewordenes Pergamentenheft. Irgendwann kam Hellas zu ihm.
»Wenn ich die beiden einfach so getötet hätte, wärst du mit mir hart ins Gericht gegangen dafür.«
»Mit Sicherheit. Aber erstens gehört Jeron nicht zum Mammut und untersteht somit nicht meiner Verantwortung, und zweitens haben wir drei darin versagt, rechtzeitig etwas gegen das Töten zu unternehmen. Hinterher haben wir kein Recht mehr, uns zu beschweren. Eine süÃe kleine Melodie hat uns vollständig lahmgelegt.«
»Und? Was sind das für Bürschlein? Sie sehen wie Tempelnovizen aus.«
»Sie gehören zur Dämmerung, jener geheimnisvollen Gruppe, die von Eljazokads Vater Zarvuer gegründet wurde. Sie kannten Eljazokad, aber er gehört nicht zu ihnen. Seine Magie stieà sie bislang ab, denn Zarvuer hat seine Magie weggegeben, um ein vollständiger Mensch zu werden. Jetzt aber, da Eljazokad kein Magier mehr ist und somit die Geschichte seines Vaters wiederholt, könnten sie versuchen, ihn für sich zu gewinnen.«
»Dann stimmt es also, daà seine Magie weg ist.«
»Leider. Was mich aber noch mehr beunruhigt, ist, daà das Mammut offensichtlich von der Dämmerung überwacht wird. Bislang sind wir der Dämmerung nicht in die Quere gekommen, weil wir immer nur indirekt mit Magie zu tun hatten, aber nun, da wir zu Botschaftern des magischen Vermächtnisses der Riesen geworden sind, haben wir ein Eingreifen provoziert. Immerhin haben sie uns nicht getötet. Sie wollten nur das Zepter, wahrscheinlich, um es zu zerstören. Aber es kann gut sein, daà die Fronten sich verhärten, nun, da es Tote gegeben hat.«
»Woher weiÃt du das alles?« staunte Hellas.
»Ich mache mir lediglich einen Reim auf das, was wir bislang in Erfahrung bringen konnten. Wir sollten vielleicht doch versuchen, in Kuellen auf den Wasserweg zu wechseln, denn der Transport des Zepters birgt mit jedem Tag gröÃere Gefahren.«
Die restliche Nacht grübelte Rodraeg über dieses Problem nach. Bald erreichten sie den Weg, der quer durch einen südlichen Ausläufer des Larnwaldes direkt nach Kuellen führte. Aber konnte Rodraeg sich dort überhaupt blicken lassen? Fortgegangen war er zu Beginn dieses Jahres mit einem bezaubernden Schmetterlingsmädchen â und nun kehrte er zurück, unrasiert und ungepflegt, mit einer Bande farbenprächtiger, bewaffneter Wegelagerer an seiner Seite. Was mochten seine ehemaligen Kollegen im Rathaus darüber denken, was die vielen, vielen Bürger, die ihn bei seiner täglichen Arbeit kennen- und schätzengelernt hatten? Noch gravierender jedoch war das Problem, wie es ihnen ohne Geld überhaupt gelingen sollte, eine Schiffspassage für sieben Personen zu bezahlen.
Rodraeg spürte immer noch einen wispernden Widerwillen gegenüber der Ritterin und ihren Leuten. Die Gnadenlosigkeit, mit der Jeron getötet hatte, anstatt die Angreifer nur zu überwältigen, lieà sogar Hellasâ sorglosen Umgang mit dem Leben anderer in mildem Licht erscheinen. Jeron war immer hinter dem Mammut her, selbst wenn man ihn weit voraus wähnte. Ein freundlich wirkender Schatten mit zwei todbringenden Stacheln. Einer der widersprüchlichsten und somit unangenehmsten Menschen, mit denen Rodraeg es je zu tun bekommen hatte.
Doch dann war da wieder diese andere Stimme in Rodraeg, diejenige, die ihn vor sich selbst warnte. Jeron hatte dem Mammut noch nie wirklichen Schaden zugefügt. Womöglich hatte er sogar eine Verschleppung Eljazokads verhindert. Woher also diese Abneigung? Versuchte das Zepter, einen Keil zwischen beide Truppen zu treiben, um zwischen allen nach ihm greifenden Händen hindurch wieder in eine unergründliche Tiefe des
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