Das vergessene Zepter
sehr lustig aussehen. Mensch, Rodraeg, mach nicht schlapp, hörst du? Gleich bist du bei den Riesen, die machen dich wieder gesund. Der Schamane ist ganz groÃe Klasse! Diesen Tätowierten hatâs viel schlimmer erwischt als dich, und den hat er auch wieder zusammengeflickt. Und der Stutzer, demâs den Bauch zerrissen hat wie mir damals, der hält doch viel weniger aus als wir vom Mammut, und trotzdem haben die Riesen ihn wieder heil gemacht.«
Rodraeg hörte seine Stimme. Einen Singsang, ein Gedicht, tränengetrübt, das ihn hinübertrug zu einem seltsamen Schauplatz. Hohe Felswände, wie Silbererz so spiegelnd. Ein Wasserfall, auf breiter Front unendlich fallend. Eine Hängebrücke zwischen den Felsen, hoch über den Wassern, geflochten aus brennenden Blumen. Ihr Rauch wie Myrrhe so sanft. Rodraegs rechte Hand krampfte sich um Bestars linke Hand. Dann lieà er sie los und starb zum zweiten Mal. »Wie unerwartet«, war sein letzter Gedanke. »Ich hatte wirklich geglaubt, das mir geschenkte neue Leben würde länger dauern.«
Bestar redete weiter. »Falls du jetzt das BewuÃtsein verlieren willst, geben wir dir einfach wieder dieses Salz zu riechen. Ich muà da auch mal dran schnuppern, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das funktioniert, aber es wirkt jedes Mal Wunder. Cajin wird Augen machen, wenn wir ihm erzählen, was wir alles erlebt haben, meinst du nicht auch? Wie Hellas zum ersten Mal danebenschoà und dich traf aus Versehen.« Bestars Stimme versagte. Viel zu träge, sperrig nur, wie von einem Morast umgeben, kam die Höhle näher. Eljazokads besorgtes Gesicht. Die Ritterin, ohne ihre Maske eher trotzig als unnahbar. Kurgattunek. »Ich glaube, er ist ⦠gestorben«, schluchzte Bestar.
»Gib ihn mir«, sagte Kurgattunek.
Bestar wuÃte nicht mehr ein noch aus. Er schaute zu seinem gigantischen Freund hoch wie ein Kind zu einem Erwachsenen. Dann übergab er Rodraegs Leib den noch viel stärkeren Armen des Riesen. Der Riese trug den Toten nach hinten in den wallenden Rauch.
Bestar rutschte mit dem Rücken an einer Wand hinab und begann mit vor das Gesicht gehaltenen Händen haltlos zu weinen. Eljazokad setzte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter, die schwer war wie Stein.
»Ich verstehe das alles nicht«, stieà Bestar irgendwann hervor. Tränen troffen aus seinem rotgefärbten Bart. »Warum Hellas? Was ist denn nur geschehen?«
»Wir sind alle tot umgefallen in der Höhle des Alten Königs«, sagte Eljazokad düster. »Wir haben alle viel verloren. Ich meine Magie. Rodraeg seine Krankheit. Hellas womöglich etwas, wovon wir gar nichts wissen.«
»Aber das ist doch schon fast einen Mond her!« widersprach Bestar. »Ihr wart so lange hierher unterwegs â warum ist Hellas da nicht schon auf der Reise mit allem ins reine gekommen?«
»Weil die Reise hierher auch wie ein Alptraum war. Wie etwas in der Höhle. All diese Visionen und Lebenswege und ⦠nicht vorhandenen Treppenstufen, die wir dort durchschreiten muÃten. Die Rückreise war genauso. Ein Teil unseres Lebens, der doch unmöglich wahr sein kann. Verfolgt von fragenden Toten und deutenden Fliegen. Einen Händler bestehlend, der uns überrollen wollte. In den Schlaf gesungen von Knaben, die ein Zepter stehlen wollten, das mir meine Magie entwendet hat. Attackiert und verwundet von den Schemenreitern, die vorher unsere Kundschafter waren und eigentlich gar keine Körper besitzen. Verrückt. Wahrscheinlich wuÃte Hellas gar nicht mehr, ob Rodraeg wahr ist oder nicht. Vielleicht hat er auf ihn geschossen, um ihm und sich das Leben zu beweisen.«
Eljazokad fühlte sich ganz ähnlich. Als würde er jetzt, da seine Magie schon fort war, auch mit seinem Körper aufhören zu existieren, wenn er nur für einen Augenblick vergäÃe, weiterzumachen. Vielleicht waren sie immer noch in der Höhle. Auch diese Höhle war jene Höhle. Alle Höhlen waren eins, auch die, in der Rodraeg so krank geworden war. Und Hellas hatte â hellsichtig â schon immer vor allen Höhlen Furcht empfunden.
Zeit verging.
Eine Stunde vielleicht, die jeden ein Jahr altern lieÃ.
»Bestarmekin, Eljatsokan, kommt her zu mir, meine Freunde.« Attanturik winkte die beiden bleichen Menschen zu sich heran. Sie rafften sich auf und schlurften wie die Toten im Nachtwald zu ihm
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