Das verhängnisvolle Experiment
nichts wahrzunehmen. Die Entfernung ließ ihn mit seiner Umgebung optisch verschmelzen.
Sie hatte den Eindruck, schon stundenlang einsam unter den Blättern des Tonnenbaumes zu stehen, aber sie wußte, daß kaum mehr als dreißig Minuten seit Peters Aufbruch vergangen sein konnten. Trotzdem blickte sie auf die Uhr in der Manschette ihres Skaphanders. Zwanzig Minuten! Zuerst wollte sie, es nicht glauben. Aber dann sah sie die Ziffern der Sekundenanzeige laufen, die Uhr funktionierte also, was bedeutete, daß Peter tatsächlich nicht länger als zwanzig Minuten unterwegs war.
Die Stille lastete wie ein körperlich fühlbarer Druck auf ihr. Wo mochte Mankov jetzt nur sein? Sie hörte seine Schritte nicht mehr, nicht seinen Atem in den Hörern und auch nicht das Brechen des Unterwuchses. Sie spürte ihre Angst weiterwachsen, Angst, die sie im Augenblick noch in Grenzen zu halten vermochte, von der sie jedoch wußte, daß sie über kurz oder lang zur Panik anschwellen und sie überfluten konnte wie eine heiße Welle.
Und dann spürte sie unversehens einen Druck in ihrem Nacken. Nichts, das physischer Natur gewesen wäre, nichts Meßbares, es war ein Gefühl, das aus den tiefsten Tiefen ihres Inneren kam. Und so immateriell es auch war, sie spürte es ganz deutlich, sie hatte den Eindruck, es zöge ihr die Muskeln unter der Haut zusammen.
Sie kannte dieses Phänomen, aber bisher hatte sie, wenn es auftrat, noch nie Angst empfunden. Sie wußte, daß sie beobachtet wurde. Von Lannert vielleicht oder von denen, die die Spinne hierhergebracht hatten. Peter schloß sie aus. Weil der Druck viel stärker war, als sie ihn jemals gefühlt hatte. Ein wenig wunderte sie sich, daß sie überhaupt noch imstande war, solche Überlegungen anzustellen. Und mit der Erkenntnis, daß sie trotz allem noch immer logisch zu denken vermochte, klang auch die Angst auf ein erträgliches Maß ab. Doch auch jetzt wagte sie noch nicht, sich umzublicken. Oder aber, sie konnte es nicht.
Sie zuckte zusammen, als neben ihr ein Steinwaran auftauchte. Das Tier rannte, von hinten kommend, an ihr vorbei, nicht in einer geraden Linie, sondern in langgestreckten Kurven, als wiche es unsichtbaren Hindernissen aus.
Drei oder vier Meter vor ihr verharrte die Echse plötzlich, wie von einer geheimnisvollen Kraft an den Boden gefesselt. Und dann begann das Tier sich auf der Stelle zu winden und zu zucken. Sie hörte ein feines, auf- und abschwellendes Zischen, und neben ihr stach eine Säule vibrierenden Gases vorbei, die sterbende Echse einhüllend. Sie fand keine andere Definition für den flimmernden Balken, der den Waran traf, obwohl es sich bestimmt nicht um Gas handelte. Es war die Luft selbst, die glitzerte. Wie Staubteilchen, die in einem scharfen Lichtstrahl schwebten.
Als sich der Waran in einem letzten, konvulsivischen Zucken zusammenkrampfte, brach der Strahl ab. Die Starre wich langsam von ihr, und Toria spürte, daß sie sich wieder bewegen konnte. Sie wandte den Kopf.
Hinter ihr standen vier Fremde. Großköpfige, gelbgekleidete Wesen von menschlicher Gestalt, deren flache, schwarze Gesichter wie Höhlen waren, leer und glatt, ohne Augen und Nase und Mund, tellergroße, schwarze Abgründe. Hätte sie das, was sie fühlte, Entsetzen genannt, es wäre gewesen, als beschriebe sie den Himmel, indem sie sagte, es befänden sich Wolken an ihm.
Sie fühlte eine Berührung an der Schulter, einen harten, unbeherrschten Griff, etwas riß sie nach rechts und preßte sie an sich. Sie war unfähig, sich zu wehren. Die Bäume begannen sich um sie zu drehen, und die Wiese schwankte in irrsinnigen Wellen. Ihr Herz flatterte wie ein gefangener Vogel, sie fürchtete das Bewußtsein zu verlieren.
»Ruhig, Toria! Ganz ruhig!« Mankovs Stimme war unmittelbar neben ihr, ganz nah. Sie glaubte die Worte nicht nur über den Kommunikator zu vernehmen, sondern sie auch zu fühlen, mit dem ganzen Körper, wie ein Zittern, das sie überlief. Sie drangen in sie ein wie ein diffuser Schimmer, der einen dunklen Raum aufhellte, langsam und in flutenden Wellen. »Ruhig, Toria! Sie werden uns nichts tun.«
Auf ihrer linken Schulter lag eine Hand, eine Skaphanderhand, deren Finger sich in den weichen Stoff ihres Anzuges krallten. Sie war dunkelrot, diese Hand, und es gab nur einen, der einen dunkelroten Schutzanzug trug, Peter Mankov.
Mit einer heftigen Bewegung warf sie sich herum und hielt sich an Mankov fest, klammerte sich an ihn mit all der Kraft, die ihr
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