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Das verhängnisvolle Experiment

Das verhängnisvolle Experiment

Titel: Das verhängnisvolle Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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zwanzig, höchstens fünfzig Jahre, hast du versichert, und es gibt keinen Hunger mehr, keine Kriege, keine Verbrechen. Und was ist daraus geworden? Wir…«
    »Man muß Geduld haben, Toria. Es ist wahr, wir haben das Alte unterschätzt, haben die Trägheit der Menschen nicht in Rechnung gestellt und geglaubt, in wenigen Jahren korrigieren zu können, was in Jahrtausenden verkrüppelt gewachsen ist. Wir wissen heute, daß dieser Weg sehr lang sein wird, daß sich die Erfolge nicht von heute auf morgen…«
    »Ich lebe aber heute, Vater.«
    »Wir alle leben heute. Unsere Aufgabe ist es…«
    »Ich will aber nicht warten, begreif das! Ich will heute glücklich sein. Ich will nicht, daß sich mein Glück täglich von mir entfernt, während ihr uns sagt, wir kämen ihm stetig näher.«
    Er beginnt sich zu erregen. »Wie kannst du nur zwischen ›euch‹ und ›uns‹ unterscheiden? Sind wir nicht Glieder einer Gesellschaft?«
    Sie lacht unfroh auf. »Sind wir, Vater! Gewiß doch! Aber sind wir nicht in erster Linie Menschen? Und ist es menschlich, in ständiger Angst vor den anderen leben zu müssen, vor denen, die auch Glieder einer Gesellschaft sind? Nur eben einer anderen Gesellschaft. Ist es vertretbar, als humanistisch erkannte Grundsätze unter dem Zwang zur Verteidigung reduzieren zu müssen? Weshalb, Vater, leben wir noch immer in einer Zeit, die uns verurteilt, ebenso perfekte oder noch bessere Tötungsmechanismen zu erfinden, wie sie die anderen bereits konstruiert haben, diejenigen, die wir als inhuman und verbrecherisch bezeichnen? Ist das nicht ein entsetzliches Dilemma, Vater?«
    Seine Gebärde verrät Hilflosigkeit. »Nun ja«, sagt er. »Das alles ist nicht falsch. Aber du mußt doch zugeben, daß wir uns gegen einen Angriff wappnen müssen.«
    »Lies deine klugen Bücher«, kontert sie. »Wo ist denn die Welt, die sie beschreiben? Die Welt, in der jeder der Bruder des anderen ist, in der keiner dem anderen übel will. Wo ist sie?«
    »Sie wird kommen, Toria. Früher oder später werden wir in einer solchen Welt leben.«
    Mit »wir« meint er die Gesellschaft, die Menschheit, nicht sich und seine Tochter. Aber sie will ihn nicht verstehen, nicht jetzt, sie kann nicht mehr nachgeben, ihr Entschluß ist gefaßt.
    »Wir?« sagt sie also. »Wir nicht, Vater! Vielleicht werden meine Enkel diese wunderbare Welt erleben. Aber dazu werden sie erst unsere heutige Welt überleben müssen, die Welt von heute, die ihr gemacht habt, Vater.«
    Er fährt zusammen. »Das…«, sagt er zutiefst betroffen, »das hätte ich von dir nicht erwartet. Wie kannst du uns vorwerfen, daß wir für eine bessere Welt kämpfen? Für wen rackern wir uns denn ab? Für wen sind all die Tausende gestorben? Für uns, für sich selbst? Nein! Für die, die danach kommen. Für dich, deine Kinder und deine Enkel. Das solltest du zu begreifen suchen.«
    »Wenn sie kommen«, sagt sie, obwohl sie längst weiß, daß sie ihm unrecht tut. Deshalb schluckt sie auch die Bemerkung, nun unterscheide auch er zwischen »uns« und »euch«, hinunter.
    Vielleicht merkt er, daß sie nicht mehr zurückkann. Er läßt sich langsam auf die Knie nieder und nimmt ihre Hand. »Mir scheint«, sagt er, »das Leben macht dir angst. Habe ich recht, Toria? Dann mußt du dir immer und immer wieder sagen, daß es in unserer Welt und in unserer Zeit kein besseres Leben gibt als das unsere, keines, das sinnvoller wäre. So ist das, meine Tochter.«
    Sie springt auf und steht neben ihm, viel größer jetzt als er. »O doch, Vater, das gibt es. Und ich werde es leben. Ich werde anders leben als du, glücklicher.«
    Er steht auf, und wieder sieht sie, wie schwer ihm diese kleine Anstrengung wird. Als er vor ihr steht, scheint es, als schwanke er. Dann hebt er den Kopf. »Wo? Dort oben, in irgendeiner von diesen Welten, die so unendlich weit von uns entfernt sind, daß wir nichts von ihnen wissen?« Noch ehe sie antworten kann, geht er mit schleppenden Schritten zurück ins Haus. Seine Hand streift die Dornen der Kletterrosen, aber er scheint es nicht zu bemerken.
    Am nächsten Tag verließ sie das Haus. Leise, während er noch schlief, schlich sie sich aus der Tür, mit nicht mehr als einer Umhängetasche, in der sie ihre wichtigsten persönlichen Dinge verstaut hatte. Sie hatte ein ziemlich gutes Gefühl dabei, das nur dadurch ein wenig getrübt wurde, daß die Sterne nun noch ein Stück weiter von ihr weggerückt waren.
     
    »Spring, Toria!«
    Noch immer zitterte die

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