Das verhängnisvolle Experiment
vielleicht, ganz am Anfang. Und dann? War es immer noch guter Glaube, als er schließlich die Augen verschloß vor Dingen und Vorgängen, die sich seiner Theorie entgegenstellten, als er sich endlich sogar mit denen verband, die ihm die Mittel verschafften, um ihn nach ihren Wünschen lenken zu können? Weshalb hatte er sich nicht eingestanden, daß sie seinen Rettungsgedanken ins Gegenteil zu verkehren trachteten? Weil er sein Institut, den Erfolg und die mit Neid gewürzte Bewunderung der anderen verloren hätte? Oder weil er besessen war, weil er sich doch für gottähnlich oder für einen neuen Messias gehalten hatte? Unbewußt vielleicht. Nur unbewußt?
Er wischte mit der Hand durch die Luft. In dieser Beziehung hatte er nie etwas unbewußt getan. Wer anders als ein Gott oder ein Messias konnte sich denn einreden, daß moralische Grenzen lediglich für die anderen galten, nicht aber für ihn?
»Haston!« Lannerts Stimme, dumpf wie stets, jetzt aber mit einem mißtönenden Beiklang, als würde sie durch das Dröhnen einer Maschine überlagert, die ihre Intonation aus primitiven Schwingkreisen bezog. »Haston!«
Er blickte auf. Lannert stand bewegungslos, die Füße in das weiche Substrat des Hügels gestemmt, breitbeinig, die Linke bis in Hüfthöhe gehoben. Die Emitterscheibe des Lasers war wie ein aufgerissenes schwarzes Auge.
Plötzlich hatte er keine Angst mehr. Er wußte, daß das, was hier in wenigen Sekunden geschehen würde, nichts Überraschendes mehr haben würde, daß es lediglich das Ende einer logischen Reihe sein würde, die viel früher begonnen hatte. Exakt zu dem Zeitpunkt, als er sich seines Zieles bewußt geworden war, als er um sich her ein Vakuum geschaffen hatte, das ihn und sein Ziel und seinen Erfolg vor den Bedenken der anderen schützen sollte.
Ein Abend wie viele damals am Anfang, der zugleich ein Ende ist. Der Anfang des Weges, der ihn auf die Höhen der Anerkennung und vielleicht sogar des Ruhmes führen soll, trägt das Ende seines gemeinsamen Weges mit Gene bereits in sich. Es steigt sich leichter allein. Man geht schneller, wenn man nicht ständig gezwungen ist, sich umzublicken nach dem, was hinter einem liegt.
Ein Abend wie viele. Er sitzt an seinem Schreibtisch und arbeitet, durch Stapel von Büchern und Tabellen abgeschirmt gegen das allabendliche TV-Programm, gegen das sinnlose, bunte Geflimmer, gegen die Schreie und Schüsse, die über die Stirnwand des kleinen Zimmers toben, ungesehen und ungehört wie das Rauschen des abendlichen Verkehrs in den tiefeingeschnittenen Schluchten der Stadt.
Ab und zu bewegt sich Gene in ihrem Sessel, wenn sie sich eine bequemere Lage sucht oder nach der Schale mit dem Konfekt angelt. Das allerdings stört ihn, weil es sich aus dem Einerlei der Geräusche und Bewegungen abhebt, das Knarren des Sessels, das Rascheln des Papiers und Genes blonde Locken, die über die Sessellehne emportauchen und bunte Funken zu versprühen scheinen, Lichter, die sie sich von der Farborgie auf dem Bildschirm für Augenblicke ausborgt. »Ich wußte nicht, daß du ein neues Hobby hast, Brian.«
Er blickt auf von seiner Skizze, Gene hat sich mit dem Sessel halb herumgeschwenkt und beobachtet ihn aus den Augenwinkeln, bereit, ihr Interesse im nächsten Moment wieder dem Bildschirm zuzuwenden. Über die TV-Wand gleitet lautlos eine vielfach gegliederte Metallmasse mit beleuchteten Hangars, mit Perlenketten gelbglühender Bullaugen und frischgrünen Bäumen, die sich in einen schwarzen, leeren Himmel recken.
»Ein Hobby? Ich? Aber nein! Weder ein altes noch ein neues. Ich habe keine Zeit für Spielereien.«
Sie deutet mit dem Kinn herüber. Es ist eine langsame, aber desto eindringlichere Geste. »Und das? Ich habe mir deine Zeichnungen angesehen. Warum willst du nicht zugeben, daß du malst? Ich habe nichts dagegen, Brian. Ich habe gehört, daß man mit Bildern…« Sie unterbricht sich und konzentriert sich wieder auf die Wand, wo ein Schwarm von Meteoriten heulend über das monströse Raumschiff herfällt und sich unter Blitzen und Donnern anschickt, die letzte Bastion einer fiktiven Menschheit in irgendeine unbekannte Dimension zu katapultieren.
Er interessiert sich nicht für diese Art von Filmen, es ist immer das gleiche; irgendwann wird dort jemand auftauchen, ein Superheld, der die Situation in Ordnung bringt, das muß so sein, es handelt sich um eine Serie, um eine beliebte Serie, kein Regisseur würde sie beenden, ehe die Einschaltquoten
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