Das verhängnisvolle Experiment
der achten Minute durchschreitet der Hastonide eine grünliche Wolke, die wie dünner Nebel auf den Sandwehen liegt.
»Viren«, sagt der Blonde mit einer Spur von Ekel in der Stimme. »Mittels Chlorophoren sichtbar gemacht. Für einen Menschen wäre ein einziger Atemzug tödlich. Nach spätestens vier Stunden wäre die Lunge mit Blut gefüllt. Aus!«
Daß er nicht übertrieben hat, beweist sich in der neunten Minute. Der Hastonide bückt sich mehrmals und sammelt Kadaver aus dem Nebel, die Leichen von Testhunden, die man in die verseuchte Region getrieben hatte. Yahiro spürt einen Geschmack im Mund, als habe er heftiges Sodbrennen. Dabei hat er seit Wochen weder etwas essen noch etwas trinken können.
Als der Film abgelaufen ist, sehen ihn die beiden fragend an. Sie schweigen, aber er weiß, daß sie jetzt auf seine Entscheidung warten. Und eigentlich ist diese Entscheidung schon längst gefallen. Noch bevor er den Film gesehen hat. Wenn es überhaupt noch eines Anstoßes bedurfte, so ist das der letzte gewesen. »Ja!« pfeift er.
Er sieht die beiden aufatmen, und er sagt sich, daß sie jetzt eigentlich gehen könnten. Sie haben erreicht, was sie erreichen wollten. Aber sie bleiben. Ein wenig unschlüssig zuerst, aber dann zieht sich der Blonde einen Stuhl heran und setzt sich. Unmittelbar neben das Bett, in Höhe von Yahiros Kopf.
»Vamos«, sagt er leise. »Ich weiß, daß du lange mit dir gerungen hast, und ich weiß auch, wie dir zumute ist. Vamos…« Er unterbricht sich und sucht nach Worten. »Du bist keiner von denen, die eine einmal getroffene Entscheidung widerrufen, ich weiß. Aber denk daran, Vamos, daß wir all diese Versuche nachvollziehen werden…, nachvollziehen müssen. Das wird nicht leicht für dich werden, Vamos, ganz gewiß nicht.«
Danach steht er auf und zieht seinen Kollegen mit sich zur Tür. Und unbegreiflicherweise hat Yahiro das Gefühl, ein Freund sei gegangen.
Am Nachmittag kommt Sonja Menura zu ihm. Sie sitzt länger als eine Viertelstunde schweigend an seinem Bett und tupft ihm von Zeit zu Zeit mit einem Tuch über die Stirn. Ihre Augen schimmern, falls das Licht nicht täuscht, feucht, und um ihren Mund zuckt es hin und wieder. Als sie geht, legt sie ihm für eine Sekunde die Hand auf die Stirn und sagt: »Viel Glück, Vamos!« Mehr als diese drei Worte hat sie in der ganzen Viertelstunde nicht gesprochen.
Er sieht sie nie wieder, denn am nächsten Morgen bringt ihn eine Sondermaschine in ein neues, unbekanntes Leben, das er mit einem ganzen Bündel von Vorbehalten beginnen wird.
Das Heulen in den untersten Atmosphärenschichten riß ihn aus seinen Gedanken. Die Fähre, jetzt nur noch ein Torso mit hellglühenden Flanken, sank ungewöhnlich schnell. In steilem Gleitflug näherte sie sich einer geschlossenen Fläche dichtstehender Bäume, deren Wipfel wie ein ungepflegter, irdischer Rasen wirkten. Nur die Farbe, ein mit Grüntönen gemischtes, strahlendes Rot, paßte nicht recht in das Bild.
Yahiro mußte nicht erst auf die Instrumente blicken, um zu ermitteln, daß die Geschwindigkeit noch immer oberhalb von dreihundert Metern je Sekunde lag. Trotzdem wußte er, daß er auch diesmal überleben würde, er und sicherlich auch Keeke Lannert. Aber was würde mit den anderen geschehen? Vielleicht würden die Wipfel der Bäume, einen Teil der Geschwindigkeit vernichten, den Verzögerungsweg erhöhen, aber sehr groß schien ihm die Überlebenschance der anderen trotzdem nicht zu sein.
Als er eine Lichtung wie einen Blitz unter der Maschine hindurchzucken sah und hörte, wie die ersten Wipfel knatternd gegen den glühenden Boden der Maschine schlugen, riß er die Plombe von den Prallkissen.
7
STENELOR, Duogen, Ringstadt Mitte, Operateur und Beobachter des Außenbereiches.
Von seinem Platz in der mittleren Ebene des Zentralturmes aus hatte er einen vorzüglichen Blick über die Stadt. Sie war wie ein einziger, aber vielfach gegliederter Stein, ein sechsstrahliges, kristallines Gebilde, das langsam aus dem Boden heranwuchs, höher und höher den Sonnen entgegen. Weit drüben am Rand, wo die Häuser das Niveau der Ebene nur knapp überragten, sah er die Schollen gemächlich aufbrechen und das graubraune Material sich zu trigonometrischen Strukturen formieren, den noch jungen Bewuchs weiter und weiter zurückdrängend. Die Stadt breitete sich aus, langsam zwar, doch mit jedem Tag wurde ihr Durchmesser größer und ihre Türme und Säulen höher, mit jedem Tag,
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