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Das verhängnisvolle Experiment

Das verhängnisvolle Experiment

Titel: Das verhängnisvolle Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frühauf
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Patienten getan. Und Sie behaupten, wir hätten die Natur kastriert oder vergewaltigt, oder was weiß ich. Spielen sich auf, als gäbe es für Sie nichts Wichtigeres als den Gesang von Amseln. Was nützt uns denn die natürliche Umwelt? Sehen Sie sich doch selber an! Wo ist denn Ihr natürlich entstandener Körper? Und was wäre heute mit Ihnen, wenn man der Natur nicht ins Handwerk gepfuscht hätte?«
    Er geht mit langen, raumgreifenden Schritten über den Kies, und seine Füße hinterlassen halbmeterlange, dreieckiger Abdrücke.
    »Warten Sie nur!« ruft sie ihm nach. »Morgen beginnt für Sie das Psychotraining. Dann werden Sie schon begreifen, worauf es ankommt.«
     
    Die Übung, die sie Psychotraining nennen, macht er drei Tage lang mit. Im Jargon der Haston Base heißt sie »Roulette«. Eine schalenförmige, betonierte Vertiefung im Boden, deren Durchmesser zehn Meter beträgt, ist mit schlammigem Wasser gefüllt worden. Wem es gelingt, die anderen auf irgendeine Weise aus der Schüssel zu drängen und sich als letzter in der gelblichen Brühe zu behaupten, der hat gewonnen. Alles bis auf Schlagen und Treten ist erlaubt.
    Er hat sich bereits nach der ersten Runde eine kraftsparende Methode ausgeknobelt, die ihm erhebliche Vorteile verschafft. Wenn man mit den Klauen kräftig unter das Kinn des Gegners drückt, dann kann man von ihm nicht ausgehoben und also auch nicht aus der Schale expediert werden. Fast immer sucht sich der Gegner nach kurzem Mühen ein anderes Opfer und reibt sich dabei mehr und mehr auf. Meist ist es Moreaux – psychisch kaum weniger robust als physisch –, der die anderen beiden wirft.
    Und dann stehen sie sich gegenüber, er und Moreaux, als die letzten, und er preßt seine Zangen unter Moreaux’ Kinn, macht die Arme ganz steif und wartet, bis Moreaux zu keuchen beginnt. »Wozu tun wir das eigentlich, Moreaux?«
    Einen Augenblick lang hält der andere inne in seinen Bemühungen, ihn auszuheben. »Wir trainieren das Überleben, Yahiro«, stößt er schließlich hervor. »Nimm mal an, das menschliche Leben sei so gut wie vernichtet…« Moreaux’ Muskeln sind bis zum Zerreißen gespannt, die Worte kommen schwallweise zwischen den Zahnplatten hervor, wie in einzelne Portionen zerhackt. »Radioaktive Wolken driften über die Kontinente, Viren und psychogene Nester überall. Wir sind die letzten Überlebenden, Yahiro, wir, die Hastoniden.«
    »Und dann?«
    Er sieht, daß die Frage eine Kette von Gedanken in dem anderen auslöst, und er wartet geduldig, bis Moreaux am entscheidenden Punkt angekommen ist. Die Erkenntnis der Sinnlosigkeit des eigener Status muß ihn wie ein Schock treffen, denn er erschlafft plötzlich, läßt sich widerstandslos vom Boden aufheben und aus dem Ring tragen. Erst danach beginnt er zu toben.
    An einem dieser Tage ruft Yahiro in Baikonur an und fordert seine Rückkehr. Es ist keine Stunde zu früh. Vier Tage später findet Blossom die kleine blonde Krankenschwester unter einer Pyramidentanne. Mit furchtbaren Wunden an Schultern und Brüsten. Die Leiche sieht aus, als sei das Mädchen Raubtieren zum Fraß vorgeworfen worden.
     
    Er mochte den Wald. Und er mochte auch die Tiere dieses Waldes, obgleich ihn ihr Verhalten verwunderte. Vögel, die nicht flogen, Kröten, die nicht hüpften, Pfeilmarder, die mit enormer Wucht auf Gegenstände prallten, und Echsen, die Steine zu verschlingen suchten – das war schon ungewöhnlich. Aber er empfand all das nicht als Grund, diese Welt zu hassen. Nachdenken mußte man über sie. Herausfinden, was mit den Tieren, die auf Procyon 4 lebten, geschehen war, weshalb es sie nur in so wenigen Arten gab und wieso sie mit derart untypischen Verhaltensweisen überhaupt zu existieren vermochten. Denn schließlich ließ sich die Evolution ja nicht überlisten. Zwar probierte sie stets aufs neue andere als die typischen Wege aus, aber ebenso konsequent verwarf sie neue Arten, die sich durch uneffektives Verhalten oder unangepaßte Physiologie disqualifizierten.
    Solche und ähnliche Gedanken bereiteten ihm in letzter Zeit nicht geringes Kopfzerbrechen, wohl weil sie die Frage nach dem eigenen Status berührten. Waren nicht auch sie, die Hastoniden und der Multihom, auf andere als natürliche Weise entstanden? Was hielt die Natur von ihnen? Akzeptierte sie ihre Existenz und war sie bereit, das von Menschen geschaffene Wesen anzunehmen?
    Wenn er an Hastons sorgenvolles Gesicht und an die eine oder andere hingeworfene Bemerkung dachte,

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