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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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sind lauter tiefe Spalten und Abhänge.«
    Bran tat, was sein Bruder sagte. Er hörte Dielan hin und her gehen, als wäre er unschlüssig, was er jetzt tun sollte. Plötzlich blieb er stehen und schnappte angestrengt nach Luft.
    »Mein Kopf tut weh. Du hast einen Leidensgenossen, Bran.« Als Dielan Luft durch die Nase ausstieß, klang es fast, als ob er lachte. Dann hörte Bran das Knirschen von Sehnen. »Ich knote jetzt unsere Speere und Bögen los. Wir müssen zurück zu den Schiffen. Die anderen machen sich bestimmt schon Sorgen um uns.«
    Bran raffte das Hemd vor dem Hals zusammen. Der Wind war kälter geworden. »Sind wir weit oben?«
    »Sehr weit. Man kann von hier aus das Meer sehen, Bran. Ich dachte, du wüsstest das.« Dielan verstummte. Bran hörte, dass er die Speere auf den Boden legte. »Bist du… blind weitergegangen? Hast du mich blind diesen steilen Berghang hochgeschleppt, Bran?«
    Bran senkte den Kopf. Er war nicht in der Lage zu antworten. Aber es tat gut zu hören, dass Dielan von hier aus das Meer sehen konnte. Dann würden sie einen Weg zurückfinden.
    »Bist du hier hochgeklettert, ohne was zu sehen? Der Hang ist voller Klüfte und Einschnitte! Du hättest zu Tode stürzen können, Bran!«
    Bran war mit einem Satz auf den Beinen. Er bekam Dielan zu fassen und zog ihn an sich heran. Dielans Atem ging schnell und keuchend.
    »Du darfst mit niemandem darüber sprechen! Verrat mich nicht an die anderen. Keiner will einen blinden Mann zum Häuptling haben.«
    Dielan befreite sich aus Brans Griff. »Alle schätzen dich, Bran. Ich habe nicht vor, etwas zu sagen, aber ich bin sicher, sie würden es verstehen. Turvi hat zwar nur ein Bein, aber deswegen sieht ihn noch lange niemand als einen geringeren Menschen an.«
    »Ich bin derjenige, der euch in das neue Land führen soll. Ich bin das Auge meines Volkes.« Bran sank auf die Knie und stützte sich auf die Arme. »Wer folgt schon einem blinden Führer, Dielan? Das wäre doch ein gefundenes Fressen für Velar, wenn er das hier herausbekommt. Er würde Nosser und Orm auf seine Seite ziehen und mich zum Zweikampf der Häuptlinge herausfordern.«
    »Denk nicht an Velar. Er hat keinen Rückhalt bei den Männern. Du hast ihn auf seinen Platz verwiesen und gezeigt, dass du der Stärkere bist. Und jetzt ruh dich aus, Bruder.« Dielan fasste ihn ums Handgelenk. »Komm. Lass uns in eine der Spalten runterklettern und dort das Lager aufschlagen. Morgen gehen wir nach Hause zurück.«
    Es stimmte Bran nachdenklich, dass Dielan die Schiffe als »Zuhause« bezeichnete. Aber die Tigam, Blutskalles altes Kriegsschiff, hatte ihm und Dielan mehr Sicherheit gegeben als irgendeine Steinhütte. Sie war seinem Volk wie eine Mutter gewesen, die ihre Kinder vor dem Zorn des Meeres und dem Geheul des Windes beschützt hatte.
    Dielan führte ihn und sagte ihm, wohin er seine Füße setzen musste. Bald ließ der Wind etwas nach. Bran roch Gras und feuchtes Laub, und er spürte Erde unter den Stiefelsohlen. Dielan ließ ihn los. Gleich darauf hörte Bran das Rascheln von Zweigen.
    »Kragg sei Dank«, sagte Dielan. »Hier wachsen Beeren. Sie sehen aus wie die Blaubeeren im Lanzengebirge.«
    Bran hörte ihn zwischen den Büschen herumkriechen. Wenig später kippte Dielan eine Hand voll Beeren in Brans offene Hand. Bran schob sie in den Mund, kaute und schluckte. Sein Magen knurrte nach viel zu vielen Tagen ohne etwas Essbares, und der Speichel begann sich in seinem Mund zu sammeln. Dielan zeigte Bran, wo die Büsche waren, damit er ebenfalls Beeren sammeln konnte.
    »Hier gibt es jede Menge. Essen wir uns satt. Hier, nimm diese.«
    Bran bekam noch eine Hand voll Beeren. Er schluckte die süßen Früchte herunter und begann selber zu pflücken. Es waren Blaubeeren. Er erinnerte sich an die Herbsttage, als die Schafe zusammengetrieben wurden. Dielan und er hatten sich vom Vater weggestohlen und sich hinter dem Waldsee den Bauch mit Beeren voll geschlagen. Das waren gute Tage. Damals kannte er noch keine Sorgen oder Schmerzen, die ihm das Augenlicht nahmen.
    Ein kurzes Rascheln in den Sträuchern verriet Bran, dass Dielan aufgestanden war. Er machte sich daran, trockene Äste abzubrechen und Zweige vom Boden aufzusammeln. Bran aß weiter; die Beeren gaben ihm Kraft und der Griff der Krallen über seinen Augen ließ ein wenig nach.
    Dielan schlug den Feuerstein gegen sein Messer. Bran erkannte das Geräusch wieder, es versprach Sicherheit und Wärme. Auf den Jagdtouren war es immer

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