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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Lappen auf die Wunde und biss die Zähne zusammen. Sie war Tochter aus einem Geschlecht von Kriegern, und ihr Vater hatte sie demgemäß erzogen. Sie klagte nicht über Schmerzen. Das war unehrenhaft.
    Aber das Kind jammerte, und als es aufwachte und feststellte, dass es allein im Bett lag, begann es vor Empörung zu schreien. Tir legte die trockenen Leinenlappen über die Wunde, zog das Hemd wieder an und kroch vorsichtig zurück ins Bett. Es fuhr wie ein Stich durch die Schulter, als sie sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. Sie zog das Fell über die Brust. Der Junge hatte genügend zu trinken bekommen und gab sich damit zufrieden, sich an sie zu kuscheln, ehe er wieder einschlief.
    Sie lehnte den Kopf gegen einen der groben Wandbalken. Sie war müde, und wenn der Junge jetzt ein wenig ruhig wäre, könnte sie vielleicht auch ein wenig schlafen. Sie brauchte den Schlaf, denn sie wusste, dass sie nicht lange in diesem Dorf bleiben würden. Bran hatte ihr die Berge gezeigt, und sie spürte den kalten Windzug von der Fensterluke. Bald würde der Winter kommen. Sie würden vorher aufbrechen müssen. Bran musste sein Volk das letzte Stück bis zu dem Tal führen.
    Tir schlief zu dem rhythmischen Schlagen des Schmiedehammers ein. Sie träumte den gleichen Traum, den sie seit jener Nacht, in der es geschehen war, geträumt hatte. Sie fühlte das Feuer, das sich durch ihre Brust bohrte, und griff nach Brans Händen. Und dann versank sie in der Kälte und trieb willenlos durch die Dunkelheit. Wasser drang in ihren Mund und ihren Brustkorb. Sie bekam keine Luft mehr. Sie konnte nicht leben. Die Kälte griff nach ihr. Und plötzlich war sie eine Möwe, die über den schwarzen Strand glitt. Sie sah sich selbst, umgeben von Bran und seinem Volk. Bran beugte sich über sie. Sie spürte die Wärme von seinem Körper. Er gab ihr etwas von seinem eigenen Leben. Und es floss in ihren Körper, sodass sie lebte.
     
    Viele Tage waren vergangen, seit das Felsenvolk nach Ber-Mar gekommen war. Der Vollmond hatte über dem Meer und den Bergen gestanden, und die Nächte wurden kälter. Dielan ging es wieder besser. Loke hatte ihn abgetastet und verkündet, dass die Rippe wieder zusammengewachsen sei. Die Erschöpften und Geschwächten hatten sich ausgeruht. Die Frauen hatten die Winterkleider ausgebessert. Und die Kinder liefen mit dicken Umhängen und doppelten Lederhosen herum, da alle den kalten Atem des Winters spürten.
    Das Felsenvolk hatte die Gewohnheiten der Bermarer kennen gelernt, und abends unterhielten sie sich häufig über dieses wunderliche Volk. Wirklich gastfreundlich waren sie nicht; bisher war noch niemand ins Zeltlager gekommen, um die Fremden zu begrüßen oder mit ihnen zu sprechen, wie andere Menschen es vielleicht getan hätten. Die schwarzbärtigen Männer blieben in ihren Schmieden, wenn sie nicht beim Fischen oder auf der Jagd waren. Aber sie teilten freigiebig ihr Fleisch und ihren Fisch mit ihnen, und etwas zu essen war besser als alle guten Worte. Hagdar, der die meiste Zeit in Karrs Schmiede verbrachte, konnte berichten, dass die Bermarer freundlich zu ihm waren. Die anderen Schmiede betrachteten ihn als einen der ihren, seit er bei dem Meister in die Lehre gegangen war. Hagdar hatte viele Geschichten über das Land, das Volk und seine Götter gehört, aber er wollte noch warten, ehe er sie weitererzählte, denn die Schmiede hatten ihm abverlangt, das neu erlernte Wissen für sich zu behalten.
    Loke hatte gesagt, dass es Tir im Laufe einer Mondphase besser gehen würde, und niemand konnte ihm vorwerfen, etwas Falsches gesagt zu haben. Sie hatte weder Fieber bekommen, noch hatte sich die Wunde entzündet. Die Verletzungen waren schnell verheilt und sie war bereits kräftig genug, um Bran ins Zeltlager zu begleiten.
    Turvi hatte auf diesen Moment gewartet, er war ungeduldiger als je zuvor. Jeder Tag war eine Qual für ihn. Nicht nur wegen der Schmerzen in seiner Hüfte, sondern vor allem, weil er befürchtete, Bran könnte womöglich noch einen Winter mit seinem Aufbruch warten. So war es in Tirga gewesen. Aber Turvi hatte keine Zeit mehr zu warten. Er fühlte sich alt, und der Gedanke, am Fuß des Gebirges zu sterben, das zu sehen er so weit gereist war, war unerträglich. Kragg erwartete sie. Die Zeit für die letzte Wanderung war gekommen.
    So dachte Turvi, als er an jenem Morgen zwischen den Zelten stand. Er fuhr mit dem Daumen über die Kerben auf dem Primstab. Es war jetzt genau einen Mond her,

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