Das Verheissene Land
Das Wasser lief ihr kalt die Kehle hinunter und linderte ihren Schmerz. So wie die Pfeile das Himmelszelt durchbohrt hatten, hatte Velars Pfeil sie durchbohrt. Sie bereute es, dass sie Bran damals in Tirga aufgefordert hatte, sein Leben zu schonen. Und erst jetzt begriff sie, wie sehr Velars Aufsässigkeit Bran gequält hatte. Sie hätte eher sehen müssen, dass er eine Gefahr war, aber wie alle anderen hatte sie es erst gemerkt, als es zu spät war.
Adharkach begann zu schreien. Er strampelte mit den Beinen, wedelte mit den Armen und sabberte. Tir wischte ihm mit einem Zipfel des Fells den Mund ab. Ihr rechter Arm war noch zu schwach, um ihn hochzuheben, und so legte sie sich auf die Seite und zog den Jungen zu sich. Adharkach wuchs mit jedem Tag und entwickelte sich schneller als alle Kinder, die sie im Laufe der Jahre als Galuene gesehen hatte. Es waren noch keine drei Monde vergangen, und trotzdem konnte er schon ohne fremde Hilfe sitzen. Er drehte sich ohne Schwierigkeiten von Seite zu Seite, und wenn Bran ging und die Tür zu schließen vergaß, konnte es passieren, dass das Kind im Bett saß und in den großen Raum starrte. Brans Züge waren immer deutlicher zu erkennen. Die tief liegenden Augen, der breite Kiefer; sie sah, dass er seinem Vater ähneln würde, wenn er die kindlichen Züge abgelegt hatte. Den Flaum, mit dem er geboren worden war, hatte er verloren, doch stattdessen begann dunkelbraunes, dichtes Haar auf seinem Kopf zu wachsen.
Nachts konnte er nicht still liegen. Er rollte sich herum, zog an ihrem Haar und zerrte an dem Verband über der Pfeilwunde. Wenn Linvi und Gwen kamen, um seine Windeln zu wechseln, zappelte er wie ein Frischling und schrie wütend. Sie lachten und sagten, dass es nicht leicht sein würde, ihn aufzuziehen. Turvi war sicher, dass er wie Bran werden würde. Ein dickköpfiger kleiner Kerl. Der Einbeinige konnte sich noch gut daran erinnern, wie Bran als Kind gewesen war. Der Kleine schmatzte und stieß auf. Dann steckte er den Daumen in den Mund, rollte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Er schlief genauso schnell wieder ein, wie er aufgewacht war, und Tir hatte nun ein Weilchen Ruhe. Sie drehte sich auf die Seite, schob die Beine über die Bettkante und setzte sich mit einem unterdrückten Stöhnen auf. Das Blut in ihrem Kopf rauschte. Sie griff sich an die Stirn. Es prickelte in ihrer Brust. Der Husten kratzte in der Kehle, und die Wunde stach. Aber das machte ihr nichts aus. Sie hätte Wundfieber haben können, hätte es mit Sicherheit bekommen, aber aus Gründen, die sie nicht kannte, hatte sie die ersten, kritischen Tage überlebt. Vielleicht hatte Loke sie vor dem Fieber bewahrt. Sie erinnerte sich ganz vage an sein bärtiges Gesicht im Zelt, seine rauen Finger auf ihrer Haut und den brennenden Schmerz, als er den Pfeil herauszog. Als er mit dem glühenden Messer gekommen war, hatte sie das Bewusstsein verloren, worüber sie mehr als dankbar war.
Tir stützte sich auf den Stuhl, beugte sich vor und erhob sich unsicher. In der Schüssel auf dem Tisch war Wasser, und Gwen hatte am Abend zuvor reine Leinenlappen gebracht. Die Tür zu dem Raum mit dem Kamin war geschlossen.
Sie schnürte das Hemd vor dem Hals auf und zog es mit der gesunden Hand über die Schulter. Es war kalt im Raum und die Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich auf. Sie befeuchtete einen Lappen und strich sich damit über den Bauch. Im Haus ihres Vaters hatten die Diener immer Wasser für sie warm gemacht und saubere Kleider für sie rausgelegt, und im Saal hatte immer etwas zu essen bereitgestanden. Damals war das eine Selbstverständlichkeit für sie gewesen. Sie war die Tochter des Schatzmeisters, und nichts war gut genug für sie. Aber durch die Vandarer war alles anders geworden. Nach dem Brand in Fa Ton war sie auf die einsamen Inseln geflohen, wo sie zu überleben gelernt hatte. Auch das war heute nur noch eine Erinnerung. Eine trostlose und schmerzvolle Erinnerung.
Das Kind wimmerte leise. Es griff in die Luft und gab einen resignierten, müden Laut von sich. Tir löste den Verband. Die Brandwunde hatte die Form der Messerspitze, und die Haut war gerötet und geschwollen. Sie griff sich über die Schulter und betastete die andere Stelle am Rand des Schulterblatts. Sie fühlte sich geschwollen und uneben an. Früher, bevor sie Bran getroffen hatte, vor dem Angriff der Vandarer, hätte sie wegen der Entstellung geweint. Aber nun war sie nur froh, noch zu leben. Sie drückte den
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