Das Verheissene Land
dass sie an dem schwarzen Strand an Land gegangen waren. Er schloss die Augen und atmete tief ein. Er würde das Volk noch einmal zusammenrufen müssen. Es würde das letzte Mal sein.
»Kommt heraus, Volk von Kragg!«, rief Turvi mit durchdringender Stimme. »Kommt heraus, wir müssen beratschlagen! Es ist an der Zeit weiterzuziehen, und es gibt noch viel zu tun!«
Dielan schlug das Fell vor der Zeltöffnung zur Seite und kam mit Konvai auf den Fersen herausgekrochen. Die Waldgeister, die in Turvis Zelt wohnten, kamen mit ihren Speeren und Rucksäcken und den fertig aufgerollten Lodendecken nach draußen. Hagdar kam mit tropfnassem Bart und nassen Wamsärmeln vom Fluss hoch. Nosser wälzte sich gähnend aus seinem Zelt. Es dauerte nicht lange, bis sich das Felsenvolk um Turvi versammelt hatte. Turvi schnupperte in den kalten Wind und blickte mit zusammengekniffenen Augen ins Gebirge. Als er Bran entdeckte, der aus Garrs Langhaus kam, begann er zu sprechen.
»Die Langschiffe haben uns durch Stürme geführt, über die ewig rollenden Wellen, durch Nebel und windstille Tage. Und sie haben uns hierher geführt, nach Ber-Mar, an den schwarzen Strand vor dem Gebirge.« Turvi zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den dunklen Berghang im Norden. Die weißen Flecken waren mit jedem Tag größer geworden und reichten inzwischen bis zu dem bewaldeten Bergrücken. »Dort drinnen wartet das Tal der Träume! Dort drinnen, hinter den kalten Klippen, wartet Kragg auf uns! Er ruft uns, Freunde. Wir müssen aufbrechen und in das Gebirge wandern. Folgen wir Brans Traum, er hat den Weg gesehen, den wir gehen müssen!«
Bran war jetzt bei den Zelten angekommen, und als Turvi auf ihn zeigte, wandten sich alle zu ihm um. Bran klopfte Dielan auf die Schulter und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er hatte Turvis Rufen gehört und wusste, was jetzt kommen würde.
»Bald ist Winter.« Turvi heftete seinen Blick auf Bran. »Schnee wird sich über die Ebenen legen. Lass uns jetzt aufbrechen, Bran. Ehe es zu spät ist. Wir könnten das Tal erreichen, wenn wir morgen aufbrechen.«
Bran sah ihn an. Turvi konnte nicht wissen, wie weit es bis in das Tal war. Er wusste es selbst nicht. Seine Träume hatten ihm Orte gezeigt: einen lang gestreckten Bergrücken, eine Schlucht, die zwischen steilen Felswänden hinaufführte, einen Pfad, der zu einem Wasserfall und auf eine kahle, windgepeitschte Hochebene führte. Er hatte nie gewusst, wie lang diese letzte Reise werden würde.
»Wir werden aufbrechen.« Bran wandte sich an die Frauen, Männer und Kinder, die sich um ihn versammelt hatten. »Ich werde euch in das Tal bringen. Aber wir müssen noch warten, Tir ist noch nicht…«
»Nein!« Turvi packte ihn an der Schulter, wobei ihm die Krücken wegrutschten, und klammerte sich an ihm fest. »Verlang nicht von uns zu warten, Bran! Ich kann nicht länger warten!«
Kaer trat vor, aber Bran legte einen Arm um den Einbeinigen und stützte ihn. Turvis war bleich. Über seine zerfurchten Wangen liefen Tränen. So hatte Bran ihn noch nie gesehen, und mit einem Mal begriff er, dass Turvi nicht mehr der Gleiche war, den er als kleiner Junge gekannt hatte. Dies war nicht der Geschichtenerzähler, zu dem er geflohen war, wenn sein Vater wieder besonders schlimm war. Dies war ein alter Mann.
»Ich flehe dich an, Häuptling.« Turvis Stimme war nun mehr ein Flüstern. »Führ dein Volk ins Tal der Träume. Bitte sie, ihre Zelte abzubrechen. Tu es, solange ich noch genügend Kraft habe, euch zu folgen. Mir bleiben nicht mehr viele Monde.«
Kaer kam mit den Krücken, aber Turvi wollte sie nicht haben. Bran schüttelte den Kopf. Was sollte dieses Gerede von Monden? Turvi war immer da gewesen. Er würde noch viele Winter leben. Bran sah ihn an und spürte den knochigen Rücken unter seiner Hand. Turvis Augen glänzten. Bran wollte es nicht sehen, aber er konnte die Wahrheit nicht verleugnen. Turvi war schwach. Ein alter Mann.
»Wir werden diesen Ort verlassen.« Bran schaute über das Zeltlager. Im Türrahmen von Garrs Langhaus sah er Tir mit Ulv auf dem Arm. Sie war bereit weiterzuziehen.
»Rollt Felle und warme Decken zusammen.« Bran nahm Kaer die Krücken aus der Hand und gab sie Turvi. »Füllt die Wasserschläuche und spannt eure Bögen. Morgen brechen wir auf.«
Die Männer jubelten. Turvi wischte sich über die Augen und hinkte zwischen die Zelte. Die Frauen ließen ihre Kinder los und gingen zu den Zelten. Es war noch viel zu tun, ehe sie aufbrechen
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