Das Verheissene Land
Ebene, als wollte er von ihnen fortlaufen. Dann stolperte er erneut, stürzte und blieb in dem gefrorenen Gras liegen.
Da lief Dielan zu seinem Bruder. Er sank neben ihm auf die Knie, stützte Brans Kopf auf seinen Schenkeln und wandte sich dann an das Felsenvolk.
»Bran geht es schlecht.« Dielan legte ihm die Hand auf die Stirn. »Er hat Schmerzen hinter der Stirn, unsichtbare Schmerzen. Manchmal sind sie so schlimm, dass er sein Sehvermögen verliert.«
»Das Sehvermögen?« Orm trat aus der Menge und schüttelte ungläubig den Kopf. »Willst du damit sagen, dass Bran blind ist?«
Bran hörte die Worte und wusste, dass seine Schwäche entlarvt war. Er wollte aufstehen, doch Dielan hielt ihn am Boden. Tränen brannten in seinen Augen. Er hatte sie durch eine ganze Welt geführt, bloß um zu versagen, wenn es wirklich darauf ankam.
»Es wird zurückkommen«, sagte Dielan. »Er muss nur zur Ruhe kommen. Es kommt immer wieder zurück.«
Männer und Frauen steckten die Köpfe zusammen und murmelten miteinander. Ihre Umhänge flatterten wie losgerissene Segel im Wind. Dielan half Bran auf die Beine und führte ihn zum Zugschlitten zurück. Bran spürte Tirs zarte Hände auf seinem Nacken und sackte auf dem Schlitten zusammen.
»Lasst uns warten.« Dielan sprach laut zu dem Volk. »Ich bitte euch. Warten wir einen Tag. Bran wird wieder sehen können.«
Es war lange still. Bran lauschte dem Wind. Er spürte Tirs Hände an seinem verstümmelten Ohr und auf der glatten Narbe im Nacken.
»Wir können nicht warten.« Eine vertraute Stimme durchbrach die Stille. Hagdar führte jetzt das Wort. »Es tut mir Leid, Dielan, aber wir können nicht einem blinden Mann folgen. Das musst du verstehen.«
Dielan antwortete nicht.
»Was sollen wir dann tun?«, fragte eine entfernte Stimme.
»Wir müssen umkehren.« Kaer räusperte sich. »Sie haben uns gut aufgenommen in Ber-Mar. Vielleicht können wir bis zum Frühling dort bleiben.«
Eine Weile lauschte Bran ihren Stimmen, doch er hörte sie bloß als fernes Flüstern. Die Schmerz bringenden Klauen hatten über seinen Augen zugeschlagen, sie blendeten ihn und verwandelten sein Blut in Feuer. Bald darauf spürte er nicht einmal mehr Tirs Hände. Alles in ihm war Schmerz. Er brannte.
Bran wälzte sich vom Zugschlitten, rappelte sich auf und stolperte davon. Er verbarg das Gesicht in den Händen, stürzte und kroch weiter. Dann richtete er sich wieder auf und taumelte weiter. Die Stimmen um ihn herum verstummten. Er wollte vor ihnen fliehen. Vor ihnen allen.
Während der ganzen Zeit, in der das Felsenvolk stritt, hatte Turvi im Sattel gesessen. Er hatte Bran herumtaumeln sehen und begriffen, dass dieser blind war. Jetzt sah er, wie Bran über das Gras von ihnen fortstolperte. Er hatte die eine Hand auf seine Stirn gelegt und hielt die andere suchend vor sich, als tastete er sich im Dunkeln voran. Turvi streckte seinen Rücken und biss die Zähne zusammen, als seine gebrochenen Schulterknochen in sein Fleisch schnitten. Niemand außer den Waldgeistern schien zu bemerken, dass sich Bran von ihnen entfernte. Tir lag auf dem Zugschlitten und hustete. Dielan hatte Orm am Kragen gepackt. Hagdar stand von den Tirganern umringt da und ruderte mit den Armen. Doch Loke und seine Lehrlinge gingen zwischen den Männern und Frauen hindurch und folgten Bran. Denn Bran ging in Richtung der sanften Bergkette, auf die der Speer deutete.
Turvi klammerte sich an den Sattelknopf. Er war schwächer als jemals zuvor. Nur sein Wille hielt ihn noch oben. Er kniff die Augen zusammen und flüsterte den Namen des Himmelsvogels. Er bat ihn, sich zu zeigen, wie er es damals vor der Felsenburg getan hatte. Er bat Kragg, ihnen Mut zu verleihen.
Als er die Augen wieder öffnete, war Bran ein weiteres Mal zu Boden gegangen. Der junge Mann kroch weiter, während ihm die Waldgeister mit gut einer Speerlänge Abstand folgten. Turvi blinzelte in Richtung der Berge. Er ließ seinen Blick über den Rand der schneebedeckten Felsen gleiten und sah dann zum Himmel auf. Und während er mit letzter Kraft darum rang, sich im Sattel zu halten, sah er IHN. Die schwarze Gestalt schwebte aus den Wolken herab und kreiste über der Hochebene. Turvi schluckte. Der Rabe schlug mit den Flügeln und ließ sich vom Wind in Richtung der Berge tragen. Als er über Bran hinwegflog, stieß er einen lauten Schrei aus.
»Kragg!« Turvi reckte seinen Arm in Richtung des Vogels. »Dort ist Kragg! Er zeigt uns den Weg ins
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