Das Verheissene Land
lächelte. Dann richtete er sich mit einem Stöhnen auf, rang nach Luft und rutschte aus dem Sattel.
Kaer fing ihn im Fallen auf. Er kniete sich neben ihn, strich ihm die langen Haare aus dem Gesicht und drückte ihn an sich. Turvi hielt sich die Brust, und sein Atem rasselte. Bran blieb stehen, als Eyna kam. Die alte Frau ließ sich neben Turvi zu Boden fallen und nahm seinen Kopf in die Hände. Tränen rannen über ihre Wangen. Turvi legte den Kopf in den Nacken und verdrehte die Augen.
»Ich bin so müde…« Der Einbeinige ließ die Arme fallen.
Bran hörte das besorgte Raunen des Felsenvolkes. Die Frauen weinten. Hagdar sank neben ihm zu Boden und legte die Hand auf sein zitterndes Kinn.
»Legt mich zu Boden.« Turvi rang nach Atem. »Dies ist ein guter Ort zum Sterben. Ich kann den Himmel zwischen den Zweigen sehen.«
Kaer tat, worum ihn sein Vater gebeten hatte. Er legte den Umhang unter Turvis Kopf und Eyna streichelte den Bart ihres Mannes.
»Bran…« Turvi versuchte, die Hand zu heben. Eyna nahm sie in die ihre und führte sie an ihren Mund.
»Febals Sohn…« Turvi legte seinen Kopf zur Seite. »Komm zu mir, Häuptling.«
Bran ging mit schweren Schritten zu ihm hinüber und kniete neben Eyna im Gras nieder.
»Ich bin glücklich.« Turvi sah ihn unter schweren Augenlidern an. »Ich durfte Kraggs Tal sehen. Das war alles, worum ich gebeten hatte.«
»Du brauchst Ruhe, Vater.« Kaer löste den Umhang am Hals des Alten. »Ich werde dich wärmen. Du wirst wieder gesund werden. Morgen…«
»Morgen werdet ihr ohne mich unter diesen Bäumen wandeln.« Turvi richtete seinen Blick auf die Baumkronen. Ein Blatt löste sich und schwebte auf seine Brust herab. »Und ich werde schlafen.«
Kaer brach zusammen und verbarg sein Gesicht am Hals seines Vaters. Turvi biss die Zähne zusammen und stöhnte. »Jetzt wird es dunkel. Sorg dafür, dass die Menschen heute dicht beieinander am Feuer sitzen, Bran.«
Bran nickte. Seine Wangen waren warm und feucht.
Turvi sah ihn an und lächelte. Dann schloss er die Augen. Sein rasselnder Atem verstummte. Er atmete noch, aber sie alle wussten, dass es nicht mehr lange dauern würde.
Mit einem Mal zuckte Turvi zusammen. Er riss die Augen auf und rang nach Atem. Er knetete Eynas Hand und starrte blind nach vorn. »Nein! Nicht in den Nebel hineingehen! Nicht…!«
Die alten Augen schlossen sich. Schmerzen zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. »Aber er wird wiederkommen…«
Der letzte Atemzug entwich mit einem Seufzer. Eyna drückte seine Hand und schrie auf.
Bran wandte das Gesicht zum Himmel. Es war kalt. Graue Wolken trieben über das Tal. Er sah den Schnee, der durch die Dunkelheit fiel. Der Winter war gekommen.
Das Felsenvolk wachte bei dem Toten, während der Schnee zwischen den Zweigen herabrieselte. Die Flocken schmolzen auf Turvis Gesicht und rannen wie Tränen über seine Wangen. Doch die Nacht war lang und schon bald schmolz der Schnee nicht mehr auf der Haut des Einbeinigen. Da breitete Bran seinen Umhang über ihn.
Sie standen bei Turvi, bis das Morgenlicht grau über die Berge im Osten schien. Der Morgen zeigte ihnen ein neues Land, ein schneebedecktes Land. Die Männer nahmen ihre Äxte und Speere und hackten ein Grab in den gefrorenen Boden. Gwen und Linvi zogen ihm die abgenutzten Kleider aus, denn der Brauch forderte, dass der Tote von seiner Frau gewaschen wurde, ehe er von den Männern ins Grab gelegt wurde. Und erst jetzt, da Turvi halb nackt und bleich im Gras lag, erkannten sie, welche Leiden er ausgehalten haben musste. Seine rechte Schulter war blutunterlaufen und blau, und Bran erkannte, dass der Steinschlag die Knochen des Alten zerschmettert haben musste.
Die Frauen holten Wasser aus dem Fluss und Eyna wusch ihren toten Mann mit den saubersten Leinenlaken. Als sie fertig war, küsste sie ihn auf die Lippen und die geschlossenen Augen.
»Es ist an der Zeit«, sagte Hagdar. Und Bran trat zu Turvi vor. Er beugte sich zu ihm hinunter und hob den alten, zerschundenen Körper auf seine Arme. Eyna wollte ihn nicht loslassen, und erst als Kaer sie an sich zog, konnte sich Bran dem Grab zuwenden.
Bran legte Turvi in den kalten Boden und Kaer reichte ihm den Speer seines Vaters. Eyna hatte ihn aus der Felsenburg mitgenommen und den ganzen Weg über getragen. Bran legte ihn über Turvis Brust, und als er den Fellumhang über ihn breitete, spürte er die Kälte der Nacht auf seinen Wangen. Dieser Körper war nicht mehr der Mann, den er
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