Das Verheissene Land
Tirganer hatten sich im Hafen versammelt, um den Schiffen günstigen Fahrtwind und Glück zu wünschen und um Abschied zu nehmen. Er sah sie miteinander tuscheln. Die Mütter hielten ihre Kinder fest. Die alten Krieger wiegten ihre ergrauten Häupter und die Gesichter der Händler lagen in ernsten Falten. »Das ist Wahnsinn«, hatten sie ihn gewarnt. »Da draußen gibt es kein Land. Die ewigen Stürme werden dich und dein gesamtes Volk verschlingen, und die Seeungeheuer werden eure Leichname abnagen.« Die Kelsmänner, die zwei Tage zuvor im Hafen angelegt hatten, statteten ihm eines Abends, als er an Deck stand und den Stimmen des Windes lauschte, einen Besuch ab. »Wohin soll deine Reise gehen?«, fragten sie ihn. »Du siehst aus wie einer, der bald in See stechen wird, und die Wassertonnen an Deck sprechen die gleiche Sprache.«
Als er ihnen antwortete, wickelten sie sich fester in ihre Leinenumhänge und wandten ihm den Rücken zu, als hätte er sie und ihr gesamtes Geschlecht verunglimpft.
Hagdar kam aus der Luke geklettert und begann, Kornsäcke zu Kaer nach unten zu werfen. Der große Mann grinste breit und lachte mit seiner tiefen Stimme. Um die Leibesmitte hatte er schon wieder ein wenig zugelegt und sein Lederhemd hing nicht mehr so locker um seinen Brustkorb. Bran hatte Tir dafür gedankt. Er hatte sie an sich gedrückt und sie hatte leicht in seine Halsbeuge geatmet. Das war am Abend des Neumondes gewesen, als das Felsenvolk ihn am Feuerplatz erwartete, um seine Entscheidung zu hören. Er hatte es nicht über sich gebracht, es Tir zu sagen. Schließlich hatte er ihr versprochen, dass sie warten würden. Er hatte nur ihren Namen geflüstert, mehr hatte er nicht über die Lippen gebracht. Aber sie hatte trotzdem verstanden, wie immer. Sie hatte ihn mit ihren wunderbaren, traurigen Augen angesehen und ihn aufgefordert, zu seinem Volk zu sprechen. »Ich weiß, dass wir von hier fort müssen«, sagte sie. »Und ich weiß auch, dass wir nicht auf das Kind warten können. Ich habe dich gesehen, Bran, nachts. Der Traum zerrt an dir. Dein Volk war nie dafür bestimmt, in Ars Reich zu leben. Ihr müsst weiterziehen. Wir müssen weiterziehen.«
Bran ging zurück ans Steuerruder und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Achtersteven. Das Deck unter seinen Stiefeln war ausgetreten, und bei Regen sammelte sich das Wasser in den zwei Vertiefungen. Unzählige Steuermänner hatten an der Stelle gestanden, an der er jetzt stand, seit das Schiff zum ersten Mal Wasser unterm Kiel gespürt hatte, und ihre Stiefel hatten sich für alle Zeit in den Decksplanken verewigt.
»Bran!«, rief eine Frauenstimme von der Kaimauer zu ihm herauf.
Er lehnte sich über die Reling. Unten neben dem Taupflock stand Kianna und blinzelte ihm entgegen.
»Wo ist Tir? Ist sie schon an Bord?«
Er zeigte zum Lagerplatz. Kianna lächelte und stellte den schweren Seesack ab. Sie war stämmig und rund um die Hüfte, und das Tuch, das sie um die Haare gebunden hatte, machte ihr Gesicht noch breiter, als es ohnehin schon war. Bran hatte sie im Laufe des Winters kennen gelernt. Sie war die einzige Galuene, die in das Lager gekommen war, um mit Tir zu sprechen. Die beiden konnten Ewigkeiten am Feuer sitzen und sich flüsternd über die neuesten Gerüchte und Kräuter und all die Dinge unterhalten, die nur den Galuenen bekannt waren.
Er mochte Kianna, weil sie ihn in Ruhe ließ und ihn nicht mit Fragen über den Krieg oder das Kind, das Tir erwartete, quälte. Vor zwei Tagen hatte Tir ihm mitgeteilt, dass Kianna mitkommen würde, um bei der Geburt helfen zu können. Die beiden Frauen waren sich schon vor über einem Mond darüber einig geworden, aber Tir hatte nichts sagen wollen, solange nicht feststand, wann genau sie in See stechen würden. Bran erinnerte sich noch gut, wie er sich von Tir abgewandt hatte, weil es ihm gar nicht schmeckte, dass sie den Entschluss gefasst hatte, ohne ihn vorher zu fragen. Kianna war ein weiteres Maul, das gestopft werden musste, und eine weitere Kehle, die nach Wasser verlangte, wenn die Sonne auf das Deck herunterbrannte. Tir hatte seine Gedanken gelesen und ihn daran erinnert, was er ihr zu einem früheren Zeitpunkt erzählt hatte: dass seine Männer ohnehin so viel Nahrungsmittel und Wasser an Bord verstauen würden, wie es Platz gab, da niemand wusste, wann sie das nächste Mal Land unter den Füßen haben würden. Und sie wies ihn darauf hin, dass Kianna wusste, was bei einer Geburt zu tun war. Das machte es
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