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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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wieder fortschickte. Und so ging Bran zurück zur Reling und ließ seinen Blick über die Türme und Wracks schweifen. Drei Kinlender schwammen mit Netzen und Speeren durch das spiegelblanke Wasser inmitten des Atolls. Meeresleuchten umgab ihre silbrigen Körper. Er folgte ihnen mit dem Blick bis ganz zur anderen Seite, wo die Fischmenschen auf ein Floß kletterten und die Netze ablegten. Über ihnen ragte einer der Türme in die Höhe. Unter einem Dach aus breiten Kammmuscheln stand ein Krieger und starrte nach Westen. Die Konchylie hing schwer an seinem Gürtel. Der Nachtwind ließ die Fischhaut um seine Hüften flattern. Und über dem Turm, unmittelbar über der Schulter des Jägers, schien der Vollmond. Bran starrte auf den weißen Himmelsschild. Kianna hatte gesagt, dass es ein Vollmondkind werden würde.
    Der Schrei durchschnitt die Nacht. Er war nicht wie die anderen. In diesem Schrei lagen Wut und wilde Gefühle, es war ein Schrei wie er ihn von den kämpfenden Tirganern im Krieg gehört hatte. Bran rannte zur Luke, doch dort stand Hagdar und legte seine starken Arme um ihn. Er zog Bran zur Reling zurück. »Glaub nicht, dass wir schlafen.« Er nickte in Richtung Dielan, der sich aus den Decken schälte. »Wir fühlen mit dir, Häuptling. Und jetzt, da sich deine Frau durch das Letzte kämpft, werden wir bei dir stehen.«
    »Wie es Brauch ist.« Dielan schritt zwischen den Füßen von Kai und dessen Sohn hindurch. »Wie du es für mich getan hast.« Er ging zu Bran und legte ihm die Hand auf die Schulter. Tir heulte unten im Bugraum.
    Auch die anderen Männer richteten sich jetzt auf, legten sich Decken und Pelze um die Schultern und erhoben sich. Nur die kleinsten Kinder blieben in der Wärme unter den Pelzen liegen.
    »Wir alle müssen warten.« Turvi hinkte über das Deck, ehe er am gebrochenen Mastfuß stehen blieb und zum Mond schaute. »Sieh, das Volk von Kragg! Es wird ein Kind des Vollmonds. Und es heißt, dass derjenige, der bei Vollmond geboren wird, zu etwas Besonderem auserkoren ist. Der Vollmond und Tirs Schrei verraten uns, dass der Häuptlingssohn ein Mann werden wird, der den Göttern nahe steht. Zu ihm werden sie sprechen, die Namenlosen und all die Geister, die im Wind leben, in den Bäumen, im Meer und in den Bergen.«
    »Sprich leiser«, sagte Hagdar. »Du alter Geißbock, du weckst ja noch die Kinder mit deinen großen Worten!« Er grinste den Einbeinigen schief an und nickte in Richtung seiner Söhne, die sich unter ihren Pelzen aufrichteten. »Hagra war endlich eingeschlafen, trotz Geburt und all der Aufregung.«
    Der Einbeinige lachte und sah zu den Kindern hinüber. Dann stapfte er zu Bran. Er blieb stehen und neigte den Kopf zur Seite, während er sich über den Bart strich und vor sich hin murmelte.
    Bran fühlte sich jetzt, da sein Volk mit ihm wachte, sicherer. Er spürte Dielans Hand auf der Schulter und Hagdar lachte und scherzte mit den anderen Männern. Sie alle wussten, dass er Kraft brauchte, um die letzte Wartezeit zu überstehen. Doch die Schreie kamen jetzt häufiger, und bald konnte Bran nicht mehr ruhig stehen bleiben. Er fasste sich in den Nacken und zitterte wie ein kranker Mann. Er musste jetzt bei ihr sein, wusste aber, dass ihm der Brauch das verwehrte. Kein Mann durfte einer Geburt beiwohnen, denn seine Anwesenheit würde die Namenlosen herausfordern.
    »Linvi ist bei ihr«, sagte Hagdar, der wusste, was Bran dachte. »Sie hat mir drei Kinder geschenkt und noch vielen anderen auf die Welt geholfen.«
    Bran spürte Hagdars Arm um seinen Körper. Über ihnen verdeckten Kraggs juwelenbesetzte Schwingen den Himmel. Die Nacht war jetzt in ihrer dunkelsten Phase. Zu dieser Zeit heulten immer die Wölfe auf den Hügeln des Lanzengebirges. Sie riefen einander und heulten ihre Sehnsucht nach den längst vergessenen Jagdgründen ihrer Ahnen heraus. Und als er an sie dachte, war es beinahe so, als könne er sie in seinem Inneren hören. Sie riefen ihn und erfüllten ihn mit einer Sehnsucht nach dem Land, das er noch nicht gesehen hatte. Und vielleicht riefen sie den, der bald kommen sollte.
     
    Das Felsenvolk wartete. Sie standen schweigend um Bran herum, während der Mond langsam im Westen im Meer versank. Turvi knetete den Primstab in seiner Hand. Dielan hielt Brans Arm, denn bei jedem Schrei zuckte Bran zusammen und wollte zur Luke hasten. Der Einbeinige flüsterte Kaer zu, dass es wirklich eine langwierige Geburt sei, was natürlich niemand Bran gegenüber einräumen

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