Das Verheissene Land
entgegen, so dass ihn alle sehen konnten, denn der Jubel erfüllte ihn mit Stolz.
»Auf Bran!«, rief Dielan. Die Männer schrien mit ihm. Da legte Bran den Jungen wieder in seine Armbeuge, doch er weinte nicht. Er sah die Männer mit weit geöffneten Augen an.
»Sag uns nun, wie er heißen soll.« Turvi atmete aus. »Sag uns, mit welchem Namen wir ihn rufen sollen.«
Bran blickte auf das friedvolle, kleine Gesicht hinab. »Er soll Ulv heißen.«
Die Männer blickten sich an. Keiner ihres Volkes hatte jemals den Namen eines Graubarts getragen. Doch Turvi schlug sich auf die Brust, ehe sich sein Ruf laut und schrill über die Köpfe der Männer erhob:
»Ein guter Name für den Sohn eines Jägers! Das ist ein Name voller Kraft! Heil Brans Sohn! Heil Ulv!«
Die Stimmen der Männer mischten sich mit dem Wind. Es war Morgen geworden. Die Sonne kletterte im Osten am Himmel empor.
Die Mächtigen
D ie lang gestreckte Dünung rollte ohne Unterlass in westliche Richtung, wo Himmel und Meer aufeinander stießen. Die Sonne stand tief dort draußen – wie ein goldenes Flammenrad schleuderte sie Feuerzungen über die See. Die Sonnenstrahlen brannten sich ihren Weg nach Osten, bis zur Mauer des Atolls aus Wracks und Muscheln. Bis in den Süden und Norden reichten sie nicht. Dort war der Streifen am Horizont verschwommen und ebenso fern und unergründlich wie der Sturmrand im Osten. Bran hatte immer wieder in die Himmelsrichtungen gespäht. Die untergehende Sonne hatte sich in seinen Augen gespiegelt und die schmerzenden Krallen geweckt, aber er hatte sich nicht von ihnen in das schattige Dunkel unter Deck treiben lassen. Er wollte nicht glauben, was die Männer sagten. Sie kannten Nangor nicht, wie er ihn kannte. Sie hatten nicht wie er mit ihm das Fahrwasser der Vandarer durchkreuzt. Sie hatten ihn nicht kämpfen sehen.
Bran stützte sich mit den Ellenbogen auf der wackeligen Reling ab. Hin und wieder bildeten sich Schatten im Nebel, und jedes Mal glaubte er, einen Mast zu erkennen. Aber sobald er sich die Augen rieb, verschwand er wieder. Was Bran nicht weiter verwunderte, war es doch nur ein Wunsch, eine Hoffnung, die am grauen Horizont Gestalt annahm.
Er griff sich in den Nacken. Seine Muskeln fühlten sich wie Eisenknoten an, empfindlich und hart nach den Tagen am Steuerruder. Er fuhr mit der Hand über die glatte Narbe und das zur Hälfte abgerissene Ohr. Wie oft hatte er schon den Vokker verflucht, der ihm das angetan hatte. Aber Flüche halfen wenig. Nichts half.
Turvi pflegte zu sagen, dass das Leben sowohl Freude als auch Leid für einen bereithielt. »Beide formen sie uns«, sagte er, wobei er auf seinen Beinstumpf zeigte. »Vom ersten Tag an. Freude und Leid.«
Bran blickte auf die Wracks hinunter. Er befand sich fast zwei Mastlängen über dem Wasser. Die grauen Decksplanken und Flöße sahen wie Treibholz aus. Die Tangarme bewegten sich sanft mit der Strömung und hier und da konnte er kleine rote Fische von einem Versteck in ein anderes flitzen sehen. Das Wasser war so klar, dass er die Maschen in den Netzen der Kinlender erkennen konnte. Die Fischmenschen schossen mit ihren silbrig glänzenden Schwänzen zwischen den Tangschwaden hindurch. Dann kamen sie an die Wasseroberfläche, um Luft zu holen, ehe sie wieder in dem Tangwald verschwanden. Am südlichen Ende des Atolls fiel der Meeresboden jäh ab, so dass nicht einmal mehr die Sonnenspeere bis auf den Grund reichten. Von dort war auch der Hai gekommen.
Eine Windböe fuhr über die Dünung und malte einen Fächer auf die Wasseroberfläche. Bran trat vom Geländer zurück, als der Turm zu schwanken begann. Die tangbewachsenen Ketten, mit denen das Atoll verankert war, spannten sich. Dann drehte sich die Windböe nach Westen, und der Turm richtete sich wieder auf. Bran wandte sich mit dem Rücken zur Sonne und schaute zum Sturmrand, von wo der Wind gekommen war. Aber außer den zerfetzten Segeln und gebrochenen Masten der verankerten Wracks der Kinlender war kein Schiff zu sehen.
Er sah zu dem Langschiff, das am östlichen Ende des Atolls vertäut war. Der Kreis aus Wracks drehte sich im Laufe eines Tages, da die Ankerketten für das Hochwasser viel Spiel hatten. Er saß schon seit einiger Zeit bei Tir und dem Jungen, als Hagdar ihn rief. Er hörte schwere Schritte über Deck stampfen und Krochs raue Stimme. Bran forderte Gwen, Linvi und Kianna auf, bei Tir zu bleiben, und zog den Vorhang hinter sich zu. Als er an Deck kam, standen dort der König
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