Das Verheissene Land
ihm das Kind entgegen. Bran fasste ihn unter den Armen und hielt ihn vor sich in die Höhe. Er war weich wie ein Welpe. Die dunklen Haare standen nach allen Seiten ab und der Mund hatte sich zu einem beleidigten Schmollen verzogen. Bran dachte, dass der Junge es sicher nicht mochte, mitten in der Mahlzeit unterbrochen zu werden.
»Du musst ihn in die Armbeuge legen, Bran!« Gwen lachte und nahm ihm den Jungen aus den Händen. Dann legte sie ihn rücklings auf seinen Unterarm und Bran hielt ihn mit der anderen Hand fest. Der Junge sah zu ihm auf, bekam seinen Bart zu fassen und zog daran.
»Normalerweise sind sie in der allerersten Zeit nicht so aufgeweckt.« Kianna begann Tirs Bauch zu waschen. »Vielleicht hat ihn der Sturm bereits vor der Geburt wachgerüttelt. Aber das ist ein gutes Zeichen.«
Bran schluckte. Der Junge ließ seinen Bart los und ballte seine weichen Fäuste. Er schloss die Augen und begann zu sabbern, und als Bran Kianna fragen wollte, was ihm denn fehlte, bemerkte er den feuchten Fleck, der sich im Leintuch ausbreitete. Bran bekam nasse Hände.
»Hier.« Er reichte den Jungen zu Kianna hinüber. »Er muss sicher wieder gewaschen werden.«
Da lachten sie über ihn. Sogar Tir lachte. Kianna schlug ein sauberes Tuch um den Jungen und legte ihn wieder an Tirs Brust.
Da klopfte draußen jemand an die Ruderbänke. Eine Männerstimme räusperte sich. »Die Männer warten«, sagte Hagdar. »Turvi nörgelt wie ein kretterscher Krämer. Wir wollen den Jungen auch sehen!«
Bran kannte den Brauch. Nach jeder Geburt musste das Kind vom Vater hinausgetragen und den anderen gezeigt werden. Er sollte es vor ihnen in die Höhe halten und ihnen den Namen des Neugeborenen mitteilen.
Tir verstand, an was er dachte, denn sie schlug den Kleinen aus dem Tuch und reichte ihn Bran.
»Wir müssen ihm einen Namen geben.« Bran blickte in die meeresblauen Augen seines Sohnes. Es hieß, die Ahnen flüsterten den Namen, den die Götter den Kindern gegeben hätten.
»Er hat bereits einen.« Tir neigte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. »Ich hatte während der letzten Wehen eine Erscheinung, einen Traum aus Schmerz. Ich sah Den, der Hörner trägt in der Ebene.«
Bran setzte sich zu ihr. Turvi hatte ihm erzählt, dass die Götter während einer Geburt zu den Frauen sprechen konnten. Er beugte sich hinunter und ließ sie flüstern, denn diese Worte galten nur ihm.
»Ich sah Cernunnos wandern. Ich sah seine Hörner.« Tir seufzte, als fiele es ihr schwer, das zu erzählen. »Neben ihm ging ein Wolf. Cernunnos sprach mit dem Wind, und ich hörte ein Wort: Adharkach.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Bran. »Dieses Wort gibt es in meiner Sprache nicht.«
»Es stammt aus der uralten arenischen Sprache und bedeutet: Der, der Hörner trägt. Cernunnos’ Geist ist in unserem Sohn und Adharkach soll sein gottgegebener Name sein.«
»Niemand soll das wissen.« Bran stützte das Kind mit seinem Unterarm. »Aber die Männer brauchen einen Namen, mit dem sie ihn rufen können.«
»Er soll Ulv heißen.« Tir strich die Haare aus dem runden Gesicht des Kleinen. »Nach dem Wolf, der an der Seite Cernunnos’ ging. Mit diesem Namen soll ihn das Volk rufen.«
Bran senkte den Kopf. Sein Sohn hatte einen Namen nach den Bräuchen Ars bekommen. Einen gottgegebenen Namen, den nur seine Nächsten kannten, und einen anderen für Freunde und Feinde. Er war sich nicht sicher, ob ihm diese Namen gefielen, denn sie hörten sich nicht wie die Namen an, die in seinem Volk üblich waren. Doch mit der Zeit, dachte er, würden sie alle verstehen, dass das der einzig richtige Name für den Jungen war.
Als Hagdar ihn erneut rief, stieg er mit dem Kind auf dem Arm über den Querbalken. Hagdars Blick füllte sich mit Wärme, als er den Kleinen sah.
Er verstellte seine Stimme und berührte den Jungen mit seinen gewaltigen Pranken. Dann kletterte er die Treppe empor und rief die Männer zusammen.
Bran folgte ihm. Die Männer hatten sich in einem Kreis um die Luke aufgebaut. Turvi wurde von Dielan gestützt, denn der Einbeinige war viel zu aufgeregt, um sich auf seine Krücke zu stützen. Bran stellte sich neben den gebrochenen Mastfuß und hob seinen Sohn über den Kopf.
»Heil dem Sohn des Häuptlings!« Der Einbeinige reckte seine Faust über den Kopf. »Lasst Tir unseren Dank hören!«
Die Männer jubelten. Sie rissen die Arme in die Höhe und riefen den Namen ihres Häuptlings und ihrer Götter. Bran streckte ihnen seinen Sohn
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