Das Verhör
Fahrer soll mich morgen früh um Punkt sechs in Highgate abholen.«
»Wird gemacht«, sagte Braxton wieder.
Trent legte auf. Er verachtete sich dafür, dass er seine Entscheidung von einem Politiker beeinflussen ließ. Aber Trent verachtete sich seit ziemlich langer Zeit ohnehin schon.
Als Jason das Polizeipräsidium betrat, fand er zu seiner Überraschung ein ganz normales Gebäude vor, das jedes x-beliebige Büro in Monument hätte sein können. Er hatte wild bimmelnde Telefone erwartet, eine Reihe von Monitoren, auf denen alle möglichen Aktivitäten zu sehen waren, ein Hin und Her von Polizisten und Zigarren qualmenden Detectives in Zivil, die vornübergebeugt an ihren Schreibtischen saßen. So wie im Fernsehen oder im Kino.
Stattdessen fand sich Jason in einem kleinen, abgetrennten Raum wieder, in dem ein grauhaariger Mann mit einem knisternd-frischen weißen Hemd und blauer Krawatte hinter einer Panzerglasscheibe an einem Schreibtisch saß. Es war hier so still, dass Jason das Brummen der Klimaanlage hören konnte.
Henry Kendall, der Polizeibeamte, der Jason zum Polizeipräsidium begleitet hatte, nickte dem Mann am Schreibtisch zu. Offenbar drückte der Mann auf einen versteckten Knopf, mit dem eine Tür zu ihrer Linken geöffnet wurde. Officer Kendall führte Jason in ein anderes Büro, das so kahl und öde war wie das Vorzimmer des Schuldirektors. Keine Bilder an den Wänden, keine Tische und Stühle, keine Vorhänge an den Fenstern.
»Die anderen kommen gleich«, sagte Officer Kendall mit einer Stimme, die weich und sanft war. »Du wirst uns bei den Ermittlungen eine große Hilfe sein, Jason. Das machst du bestimmt ganz toll.«
Nachdem er gegangen war, überkam Jason in dem kühlen Raum ein leichtes Frösteln. Er trat ans Fenster und schaute auf die Main Street hinaus. Der Verkehr floss langsam dahin, so als würde die Hitze sogar die Autos und Laster beeinträchtigen. Die Menschen gingen schleppend, wie in Zeitlupe. Jason dachte an seine Mutter und fragte sich, ob es vielleicht ein Fehler gewesen war, hierher zu kommen. Dann überlegte er, wieso er überhaupt auf so einen Gedanken kam.
Vorhin, als er in seinem Zimmer einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte und einen Streifenwagen in die Auffahrt einbiegen sah, hatte er sich gewundert. Noch ein Besuch von der Polizei? Er begann schneller zu atmen und sein Herzschlag beschleunigte sich. War etwas Schlimmes passiert? Aber das blau-weiße Signallicht auf dem Dach des Streifenwagens blinkte nicht, und der große, rotgesichtige Polizeibeamte, der aus dem Wagen stieg, schlenderte gemächlich die Auffahrt zur Eingangstür hoch.
Als er den Glockenklang der Klingel hörte, blieb Jason still stehen und versuchte, sein Herz wieder zur Ruhe zu bringen, soweit das irgend möglich war. Beim Anblick des Polizisten hatte er wieder das Bild von Alicia Bartlett vor Augen, wie er sie bei ihr zu Hause zuletzt gesehen hatte. Zuletzt gesehen. Arme Alicia.
»Jason.«
Wie von weit her drang die Stimme seiner Mutter zu ihm durch.
Kurz darauf stand Jason mit seiner Mutter und dem Polizeibeamten in der Eingangshalle.
»Das ist Officer Kendall«, sagte seine Mutter. »Er bittet dich um deine Hilfe bei den polizeilichen Ermittlungen.«
»Also, wir bitten mehrere Leute um ihre Hilfe«, erklärte der Officer.
»Gestern hat schon ein Kriminalbeamter mit Jason gesprochen, ein Detective«, sagte seine Mutter. »Sogar ziemlich lange.«
»Ich weiß, Mrs Dorrant«, sagte der Officer und für so einen großen, kräftigen Mann war seine Stimme überraschend sanft. »Aber wir wollen jetzt einen neuen Ermittlungsansatz versuchen. Wir haben auf dem Polizeipräsidium einige Vernehmungsspezialisten, die werden die Leute, die am Montag auf der Straße waren, danach befragen, was sie gesehen haben.«
»Aber ich hab dem Detective doch schon gesagt, dass ich nichts gesehen habe«, sagte Jason und bereute seine Worte, sowie er sie ausgesprochen hatte. Das würde ihn womöglich von der Befragung ausschließen und er wollte doch so gern an den Ermittlungen beteiligt sein.
»Das ist uns klar, Jason«, sagte der Polizist. »Aber diese Experten können die Leute dazu bringen, richtig darüber nachzudenken, was sie möglicherweise doch gesehen haben. Manchmal hat man nämlich etwas gesehen, ohne es bewusst wahrzunehmen. Oder man hat etwas gehört, was man zu diesem Zeitpunkt für unwichtig gehalten hat. Mit der richtigen Befragung können Hinweise auftauchen, die ursprünglich gar
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