Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verhör

Das Verhör

Titel: Das Verhör Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
Vom Netzwerk:
meinen«, sagte er.
    Er kam sich vor wie im Unterricht, wenn er etwas nicht verstand und nicht in der Lage war, die Erklärungen der Lehrerin im Kopf zu verarbeiten. Das passierte ihm auch jetzt wieder bei diesem Kram von wirklich und nicht wirklich.
    »Ich meine, ist dir immer klar, was wirklich ist - was in einem bestimmten Augenblick tatsächlich geschieht - oder was vielleicht nicht wirklich ist, sondern Fantasie? So wie ein Traum? Bringst du manchmal einen Traum mit etwas durcheinander, was sich wirklich ereignet?«
    »Nein.« Mit Nachdruck. Wozu stellte er diese Fragen?
    Trent wollte weiter vordringen. Die Haltung des Jungen, seine Unruhe, die Hände, mit denen er sich ins Gesicht fuhr oder am Arm kratzte - das alles wies darauf hin, dass er unschuldig war, völlig verwirrt. Aber seine Neigung zu gewaltverherrlichenden Filmen und Büchern war jetzt auf Band festgehalten und konnte später verwendet werden.
    Um den Jungen nicht zu beunruhigen, schlug Trent eine neue Taktik ein.
    »Also, kommen wir jetzt zum Montag, zu dem Tag, an dem du mit Alicia das Puzzle gelegt hast.« Dabei vermied er jeden Hinweis darauf, dass es der Tag gewesen war, an dem Alicia ermordet wurde.
    Jasons Nicken war schon fast eifrig.
    »Erzähl mir von diesem Tag, Jason. Was du ganz allgemein gemacht hast, und dann können wir zu den speziellen Dingen vordringen, und ich werde dir dabei helfen, dich an Dinge zu erinnern, von denen du meinst, dass du dich nicht daran erinnern kannst. Betrachte das als eine Art Spiel, okay?«
    »Klar.« Erleichterung in der Stimme.
    Und Jason erzählte. Wie er den Tag verbracht hatte, angefangen damit, dass er aufstand und frühstückte und mit seiner Mutter ins Gemeindezentrum ging. Mittagszeit, Cheeseburger, und dann der Nachmittag, der Besuch bei Alicia und das Puzzle. Dann nach Hause. Genau das, was er schon dem Detective erzählt hatte.
    Trent hörte zu, mit geschärftem Blick und gespitzten Ohren, achtete auf die Stimme des Jungen, seine Körperhaltungen und Gebärden, nahm zur Kenntnis, wie seine Bewegungen entweder zu seinem Bericht passten oder im krassen Gegensatz dazu standen. Das war der Grund, weshalb Trent nach der Beendigung eines Verhörs immer so erschöpft war, sowohl körperlich als auch geistig, weil er alle seine Sinne auf den Befragten konzentrierte und Einzelheiten, Nuancen und Eindrücke in sich aufnahm und sammelte.
    Und jetzt war es an der Zeit, in eine neue Phase des Verhörs einzutreten.
    »Wie hast du dich am Montag gefühlt?«
    »Wie ich mich gefühlt habe?« Das kam überrascht, verwirrt.
    »Ja. Warst du fröhlich oder traurig oder hat dich irgendwas bedrückt?«
    Wieder empfand Jason eine Unruhe und ein Unbehagen, als ob etwas nicht in Ordnung wäre.
    »Das sind komische Fragen«, sagte er. »Ich meine, wie ich mich gefühlt habe. Hat das denn eine Auswirkung auf das, was ich an diesem Tag gesehen und getan habe?«
    In Trents Kopf leuchtete ein rotes Warnlämpchen auf. Der Junge gab sich nur den Anschein, so fügsam und naiv zu sein. Er würde vorsichtiger vorgehen müssen.
    »Also, wenn du zum Beispiel wegen irgendetwas besorgt warst, dann könnte dich das abgelenkt haben. Und deine Beobachtungen waren vielleicht nicht so genau.«
    »Ich verstehe«, sagte der Junge. »Aber - nein, mich hat nichts bedrückt. Im Gegenteil, ich war ziemlich fröhlich, wie Sie das wohl nennen würden. Ich meine, die Schule war zu Ende. Kein Unterricht mehr, keine Hausaufgaben. Ja, ich schätze, ich war fröhlich. Ist so was auch eine Ablenkung?«
    »Vielleicht. Wir werden sehen.«
    Der Junge wirkte wieder unsicher.
    »Also, gehen wir das noch mal durch. Zunächst hast du gesagt, dass du an dem Nachmittag niemanden gesehen hast. Die Zeit, in der du möglicherweise etwas beobachten konntest, haben wir auf den Nachmittag eingegrenzt, nach dem Mittagessen. Es kommen zwei Zeiträume in Betracht. Bevor du mit Alicia zusammen warst und danach. Der Zeitraum, als du zu ihr unterwegs warst, und der Zeitraum deines Nachhausewegs. Dieser erste Zeitraum - wen hast du gesehen, wem bist du begegnet?«
    Jason war inzwischen aufgefallen, wie heiß es im Büro war. Die Hitze verdichtete sich und schien im Verlauf der Befragung an Intensität noch zuzunehmen. Ihm war auch bewusst, wie dicht ihm Mr Trent auf der Pelle saß. Ihre Knie berührten sich fast. Und war Mr Trent auf einmal größer geworden? Er kam ihm jetzt größer vor als vorhin, als Jason ins Zimmer gekommen war, schien förmlich vor ihm aufzuragen.

Weitere Kostenlose Bücher