Das Verhör
Polizeipräsidiums.
»Sie halten Wache?«, fragte er mit einem neckenden Tonfall in der Stimme.
»Mich interessiert das«, sagte sie. »Und ich laufe immer auf und ab, wenn ich Zeit totschlagen muss.« Mit einem Seufzer setzte sie hinzu: »Wie läuft's denn so?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wir befinden uns noch im Vorstadium. Der Junge macht einen netten Eindruck. Gut erzogen, anscheinend ehrlich.« Ihr zuliebe hob er anscheinend nicht durch besondere Betonung hervor.
Sie schenkte ihm die Andeutung eines Lächelns. »Das hör ich gern.«
»Hat sich etwas Neues ergeben?«
»Ich glaube, sie haben aufgehört, nach neuen Sachverhalten zu suchen, auch wenn Braxton immer noch unablässig herumschnüffelt. Er schläft buchstäblich nie.«
Trent ging auf Braxtons Schlafgewohnheiten nicht ein.
»Abgesehen davon tut sich nichts«, sagte Sarah. »Man geht davon aus, dass Sie den richtigen Verdächtigen, den Täter, hier drin sitzen haben. Es sei denn...«
»Es sei denn, ich komme zu dem Ergebnis, dass er unschuldig ist.«
»Meinen Sie, dass Sie zu diesem Ergebnis kommen werden?«
Lag etwas Herausforderndes in ihrer Stimme?
Warum brachte ihn diese junge Frau so durcheinander? Wieso war es ihm wichtig, sich vor ihr zu rechtfertigen?
»Wenn er unschuldig ist, finde ich das heraus«, gab er zurück und nahm wieder ihr Eau de Cologne wahr, feminin und unaufdringlich.
»Das hoffe ich doch«, sagte sie, streckte die Hand aus und berührte ihn zu seiner Überraschung am Arm. »Tut mir Leid, dass ich vorhin im Auto so schroff und negativ war. Mir ist klar, wie schwer Ihre Aufgabe sein kann. Ich bitte um Entschuldigung.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte Trent.
Mit einem Mal fühlte er sich aufgemuntert, so als hätte jemand ein Fenster geöffnet und einen frischen Wind in den Korridor hereingelassen.
»Ich muss jetzt wieder hinein«, sagte er, obwohl er das Gespräch nur ungern beendete. »Der Junge sollte ein paar Minuten für sich allein haben. Die bisherige Zielrichtung der Fragen hat ihn etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich glaube, er ist jetzt reif fürs nächste Stadium.«
Er fragte sich, warum er ihr das erzählte. Wieso war es ihm wichtig, sie wissen zu lassen, was er tat?
»Alles Gute für Sie beide«, sagte Sarah.
Trent freute sich darüber, dass in ihrer Stimme nichts von dem Sarkasmus lag, den er erwartet hatte.
Jason hatte Durst. Seine Kehle war wie ausgedörrt, der Mund so trocken, dass es ihm vorkam, als wäre seine Zunge aufgeschwollen. Komisch, aber ihm war gar nicht klar gewesen, wie durstig er war, bis Mr Trent gesagt hatte, dass er ihm etwas zu trinken holen würde. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass der Raum keine Fenster hatte.
Mr Trent war ihm ein Rätsel. Er gab sich freundlich, so als wollte er wirklich dazu beitragen, den Mörder von Alicia zu finden, als wollte er Jason dabei helfen, sich daran zu erinnern, was an jenem Tag geschehen war. Aber gleichzeitig hatten diese Fragen etwas an sich. Etwas Seltsames. Jason verwendete das Wort seltsam, weil ihm keine bessere Bezeichnung dafür einfiel. Er wurde aus Mr Trent nicht schlau, kam nicht dahinter, was er hören wollte. Manchmal wirkte er unfreundlich, als hätte Jason etwas falsch gemacht, gegen eine Vorschrift verstoßen, von der Jason gar nichts wusste. Und diese Augen. Wie schwarze Murmeln, aber lebendig. Sie blinzelten nicht sehr oft und schienen einem direkt in den Kopf zu sehen.
Zu alldem kam noch das Gefühl, dass Mr Trent von seinen Antworten enttäuscht war. Vielleicht berichtete er gerade jetzt, in diesem Augenblick, dem Detective, dass die Befragung nicht gut lief. Ein Hoffnungsschimmer: Vielleicht würden sie die Befragung abblasen und er könnte nach Hause gehen.
Jason fragte sich, ob die anderen ihre Sache besser gemacht hatten. Ob sie alle Fragen richtig beantwortet hatten und ihnen sogar etwas Entscheidendes eingefallen war, ob sie Hinweise gegeben hatten, die zur Lösung des Falls beitrugen, zur Ergreifung des Täters, der die arme, kleine Alicia ermordet hatte.
Außerdem ging ihm im Kopf herum, ob er Mr Trent sagen sollte, was er dem Detective von jenem Nachmittag verschwiegen hatte, aber er verwarf diese Idee wieder. Die Aufgabe von Mr Trent bestand darin, verdächtige Fremde in der Stadt aufzuspüren. Oder Leute außerhalb ihres Kontexts. Und Jason wusste ja auch gar nicht, was genau zwischen Alicia und Brad vorgefallen war. Falls überhaupt etwas zwischen ihnen vorgefallen war.
Trauer
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