Das Verhör
Und es ist bestimmt schwer für dich, zu erkennen, was sie mit dir gemacht hat...«
»Aber sie hat nichts gemacht«, protestierte Jason. »Sie war meine Freundin.«
»Wirklich? Du bist zwölf Jahre alt, Jason, und ein siebenjähriges Mädchen war deine Freundin?«
Jason begriff, wie merkwürdig sich das anhörte. Dass es ihn als totalen Spinner hinstellte. »Also, vielleicht keine richtige Freundin«, räumte er ein. »So besonders gut hab ich sie gar nicht gekannt. Ich meine, ich hab ihr beim Puzzeln zugesehen, wenn ich bei ihr zu Hause vorbeischaute. Ihr Bruder war mein Freund.«
Bei dieser Verdrehung der Tatsachen verzog Jason das Gesicht zu einer Grimasse. Brad Bartlett war nicht sein Freund, aber er schaute tatsächlich manchmal bei ihm vorbei. Wie sollte er Brad sonst beschreiben? Wenn er kein Freund war, was war er dann? Jemand, mit dem er zur Schule ging. Das hätte er sagen sollen.
»Bist du nicht auch manchmal in den Pausen auf dem Schulhof zu ihr gegangen?«
»Ja.«
»Dann hast du also doch mehr getan, als nur mal bei ihr zu Hause vorbeizuschauen, um ihren Bruder zu besuchen.«
»Ja, ich glaub schon.«
»Das glaubst du?«
»Nein - ich meine: ja.«
Jason war wieder verwirrt.
»Hast du dich von ihr angezogen gefühlt?«
Trent hatte den Augenblick für diese Frage mit großer Sorgfalt ausgewählt. Ihm war klar, dass er den Jungen damit restlos vor den Kopf stoßen würde. Er glaubte auch gar nicht, dass diese Frage etwas bringen würde. Sarah Downes hatte berichtet, dass es keinen Hinweis auf sexuellen Missbrauch oder sonst einen sexuellen Tathintergrund gegeben hatte. Aber Trent musste das für sich selbst abklären. Und die Frage musste gestellt und die Antwort fürs Protokoll festgehalten werden.
Der Junge prallte zurück, kniff den Mund zusammen. »Wie meinen Sie das?«
»Sie war ein hübsches kleines Ding, nicht wahr?«, fragte Trent. Bewusst anzüglich.
»So ziemlich.«
»Hast du je daran gedacht, ihr deine Zuneigung zu zeigen?«
»Wie denn zeigen?«
»Sie vielleicht zu berühren. Zu küssen.«
Der Junge riss erstaunt die Augen auf, verzog voller Abscheu den Mund. Hände, Füße, Körper - alles zuckte in heftigem Protest. Keinerlei defensive Abwehr. Alles bestätigte seine Unschuld.
Und das musste Trent ihm jetzt schleunigst bestätigen.
»Darauf brauchst du gar nicht erst zu antworten, Jason. Ich weiß, dass du ihr keine unanständigen Gedanken entgegengebracht hast. Entschuldige, dass ich so etwas überhaupt angedeutet habe.«
»Ich glaub, ich möchte jetzt nach Hause«, sagte Jason. Er wand und krümmte sich auf dem Stuhl, völlig verstört von all den Fragen und vor allem von diesen neuen Fragen nach Alicia Bartlett.
Er setzte dazu an, von seinem Stuhl aufzustehen.
»Es steht dir frei, jederzeit zu gehen, Jason. Ich weiß die Informationen zu schätzen, die du beigetragen hast. Du machst dir keinen Begriff davon, wie wichtig du für die Ermittlungen bist, nicht nur wegen deiner Beobachtungen, sondern auch weil du Kenntnisse über die Beteiligten hast. Und ich finde deine Antworten faszinierend.« Jedes Wort genau kalkuliert.
Trent machte eine Handbewegung zum Ausgang hin. »Da ist die Tür.«
Der Junge zögerte, vom Stuhl halb erhoben, sah unsicher zur Tür und dann wieder zu Trent hin. Trent konnte nichts unternehmen, um ihn am Gehen zu hindern, aber er wusste, dass eine zum Verhör geladene Person, die das Gefühl hatte, jederzeit gehen zu können, viel weniger dazu neigte, das Gespräch abzubrechen. Und er wusste, dass auch noch etwas anderes passieren konnte. Im Verlauf eines Verhörs kam oft der Moment, in dem sich zwischen dem Verhörten und dem Befrager ein Band entwickelte, sie ein seltsames Bündnis eingingen.
»Mir ist klar, wie müde du allmählich wirst, Jason«, sagte Trent. »Und ich weiß, dass es hier im Büro heiß und unangenehm ist. Aber ein kleines Mädchen ist tot, sie war deine Freundin, und ich glaube, wir können in dieser Situation viel bewirken, wenn wir zusammenarbeiten.«
Der Junge setzte sich wieder, aber nur auf die Stuhlkante. Er war offensichtlich noch unentschieden, was er tun sollte.
»Ich brauche von dir noch viel mehr als das, was du am Montag beobachtet hast. Du befindest dich in der einzigartigen Situation, wirklich helfen zu können.«
Besänftigt von Mr Trents mildem Tonfall und der Aussicht, bei den Ermittlungen einen echten Beitrag leisten zu können, fragte Jason: »Was kann ich schon helfen? Der Polizist, der bei mir zu
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