Das verletzte Gesicht
bestraft.
„Ich habe gesündigt, Herr, nicht sie“, betete sie halblaut. „Ich bin schuldig. Vielleicht hätte ich es ihr sagen sollen. Aber wie?“ Sie schlug die abgearbeiteten Hände vor die Augen und weinte. „Meine Sünde … meine und Fridrychs, vor langer Zeit.“
Als Helena Fridrych Walenski sah, wusste sie, dass sie ihn liebte. Mit sechsundzwanzig, unverheiratet auf dem abgelegenen Bauernhof der Eltern lebend, waren ihre Zukunftsaussichten trübe. Das Leben war schwer in Polen Ende der Sechziger. Die Preise für Nahrungsmittel stiegen, und die Löhne sanken. Die Wirtschaft war in Aufruhr. Helena erinnerte sich, wie schwer sie es damals hatten, Vieh und Familie satt zu bekommen.
Ihr Hof lag am Rande der Karpaten, und an den Wochenenden kamen junge Männer und Frauen aus der Stadt zum Wandern dorthin. Helena neigte weder zum Flirten, noch suchte sie die Aufmerksamkeit der jungen Männer, die durch das Dorf kamen. Doch bei Fridrych war es anders. Eher untersetzt als groß, mit dichtem Haar und großen, kessen Augen, hatte er eine Haltung, die an Herablassung grenzte. Sein Großstadtgebaren sprach von Privilegien und einer Weltläufigkeit, die in ihrem Provinznest unbekannt war. Sie entdeckte ihn, als er sich mit Freunden über eine Landkarte beugte, Rucksack auf den Schultern. Während die anderen redeten und zeigten, welche Route sie nehmen wollten, sah dieser gut aussehende Mann zu ihr hinüber.
Helena, schockiert von der eigenen Kühnheit, schlug nicht wie sonst die Augen nieder. Er erwiderte ihren Blick mit einem zögernden, viel sagenden Lächeln. Ihr wurde heiß.
Sich in den Bergen zu verlieben war leicht. Die Luft hier oben war klar, und man war weit weg vom Industriedunst und dem revolutionären Gedankengut der Städte. Fridrych kehrte jedes Wochenende zurück und machte ihr den Hof. Schließlich widersetzte sie sich seinen Küssen nicht länger. Fridrych war so anders als die Männer, die sie kannte. Er studierte an der Universität in Warschau. Während sie politisch eher passiv war, war er ein leidenschaftlicher Antikommunist. Ein Rebell, der mit protestierenden Studenten und politischen Aktivisten gegen kommunistische Angriffe auf Kirche und intellektuelle Freiheiten protestierte.
In einer Sommernacht, nachdem sie sich in Vaters Scheune im frischen Heu geliebt hatten, machte er ihr Versprechungen über eine gemeinsame Zukunft in einem neuen Polen. Im Dezember, als sie neben dem warmen Ofen hockten, flüsterte er ihr ins Ohr, dass er sie liebe. Und Helena, glücklich wie noch nie im Leben, glaubte ihm.
Ende Dezember 1970 zerbrach ihr Traum. Sie wusste nicht genau, was passiert war. Fridrych klang gehetzt bei seinem letzten Anruf aus Warschau, und seine hastigen Erklärungen waren verworren. Etwas über Arbeiterunruhen wegen der Lebensmittelpreise, über Schüsse und eine Bombe. Er musste das Land verlassen, und zwar schnell. Seine Familie hatte Verbindungen und konnte ihn fortbringen.
„Ich muss gehen, Helena“, sagte er eindringlich, während ihre Hände zitterten. „Ich muss, oder ich riskiere Gefängnis.“
„Nein! Nein, Fridrych, du darfst nicht gehen!“
„Ich lasse dich nachkommen, sobald ich es aus Amerika arrangieren kann.“
Helena umklammerte den Hörer, während das Herz in ihrer Brust schmerzhaft schlug. „Nein, ich komme mit dir. Ich packe sofort.“
„Wiedersehen, Helena.“
Es klickte. Er hatte aufgelegt.
Sie hatte so treu auf ihn gewartet wie eine Ehefrau auf den Mann im Krieg. So sah sie es. Im Herzen waren sie schließlich verheiratet, oder? Tag für Tag lief sie zum Briefkasten, und jedes Mal flossen Tränen, weil er leer war. Ein Monat verging, zwei, und kein Wort aus Amerika. Nicht mal eine Postkarte, dass er sicher angekommen war und auf sie wartete. Zuerst hatte sie sich eingeredet, er sei nur vorsichtig, damit die Behörden ihn nicht aufspürten. Als die Monate vergingen, wurde sie jedoch immer verzweifelter. Ihre Rechtfertigungen für ihn machten das in ihr wachsende Kind nicht ungeschehen.
„Du bringst Schande über die Familie!“ jammerte ihre Mutter, als sich die Schwangerschaft nicht länger verbergen ließ. Gläubige Katholiken wie ihre Eltern wurden mit der Schande nicht fertig, und kurz darauf wurde Helena zu den Nonnen des Heiligen Sakramentes nach Warschau geschickt.
Die Nonnen waren freundlich und zeigten Mitgefühl. Ihre Augen leuchteten vor Eifer, als sie ihr versicherten, Gott werde ihr die Sünde der Fleischeslust vergeben, wenn sie
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