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Das verletzte Gesicht

Das verletzte Gesicht

Titel: Das verletzte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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Garbo lebt.“
    Garbo lebt! lautete die Schlagzeile in
Variety
, als die ersten Presseveröffentlichungen herauskamen. Ehe Charlotte Kalifornien erreichte, sprachen bereits alle von ihrer Oscar-Nominierung.
    Freddys Schutzbehauptungen und Charlottes Verlangen nach Privatsphäre galten als reine Publicitymasche, um Garbos Zurückgezogenheit zu imitieren, was die Paparazzi zu Überstunden antrieb. Die PR-Leute bei Miramax waren begeistert von dem Vergleich mit Garbo, spielten mit und wiederholten Freddys vorbereitete Presseerklärungen, Charlotte sei der geborene Einsiedler.
    „Nun ja“, beharrten sie, wenn die Presse weiterbohrte, „Charlotte bevorzugt ihre Privatsphäre, wie die Garbo früher.“
    Auf der Heimreise trug Charlotte ein schlecht sitzendes schwarzes Samttop, einen ausgebeulten schwarzen Rock mit Fransen am Saum, rote Schuhe und eine riesige Sonnenbrille. Freddy ließ sie mit dem Wagen abholen, damit sie nicht in der Öffentlichkeit warten musste.
    So etwas war üblich. Ihr Aufzug brachte ihn allerdings zum Lachen, denn mit der Sonnenbrille sah sie mehr wie ein Star aus, als wäre sie in Pelz und Seidenschal dahergekommen. Charlotte verschwieg ihm, dass ihre Augen lichtempfindlich geworden waren und sie den Schutz brauchte.
    Sie verabschiedete sich gleich am Flughafen von Freddy und bestand darauf, allein in der Limousine nach Haus zu fahren. Freddy maulte, doch sie blieb hart.
    Ein Tross von Fotografen, die ihr gnadenlos die Kameras ins Gesicht hielten, folgte ihr. Sie war froh, bald hinter der Mauer zu verschwinden, die jetzt Haus und Grundstück umgab. Freddy hatte darauf bestanden, das Anwesen abzusichern. Elektronische Augen und Ohren, die auf Körperwärme oder Bewegung reagierten, machten es zur uneinnehmbaren Festung. Das sei nötig, hatte Freddy behauptet, bei all der verrückten Fanpost, die sie erhielt. Wer konnte schon wissen, was einem übereifrigen Fan vielleicht einfiel. Sie hatte ihn exzentrisch gescholten, aber jetzt dankte sie ihm insgeheim.
    Der Fahrer näherte sich dem verborgenen Eingang, der dank schwerer Eisentore und Sprechanlage geheimnisvoll wirkte. Charlotte achtete mehr auf die üppig blühenden Kletterhortensien als auf das blinkende rote Licht der Sensoren. Die Tore schwangen auf. Sie ließ das Fenster hinuntergleiten und roch Jasminduft aus dem Garten. Sie war zu Hause. Das kleine Haus am Hang bedeutete ihr unendlich viel. Besonders nach Michaels Umbau zu einem offenen, auf mehreren Ebenen gelegenen Refugium mit Blick über Garten und Tal. Es war eine Liebeserklärung von ihm an sie.
    Sie entstieg der großen schwarzen Limousine, ohne auf die Hilfe des Chauffeurs zu warten. Sobald er ihr schweres Gepäck ins Haus getragen hatte, verabschiedete sie ihn und war froh, als sich die schweren Tore hinter ihm schlossen. Endlich allein.
    Hier würde ihr niemand sagen, wo sie stehen, was sie anziehen oder sagen sollte. Sie war auch befreit von ihrem Gefolge: Freddy, ihrer persönlichen Zofe, ihrer Friseuse, ihrer Sekretärin, ihrer Presseagentin. Auch vom Drängen ihres New Yorker Finanzberaters, ihres Anwalts und ihres Geschäftsmanagers. All diese Menschen erfüllten ihre Aufgaben, ohne an ihr als Person interessiert zu sein. Keiner war ein Freund.
    Ein dumpfer Schmerz pochte, vom Nacken ausgehend, in ihrem Kopf, ein sicheres Indiz, dass ein Migräneanfall lauerte. Sie würde mehr Schmerzmittel nehmen müssen. Vielleicht musste sie etwas essen. Aber hier, zu Hause, würde sie sich zweifellos bald besser fühlen. Sie brauchte nur ein bisschen Ruhe. Tief einatmend sog sie den süßen Duft ein, den der Garten im Juni verströmte. Ein schönes Gefühl, nicht mehr im Wohnwagen leben und nicht mehr im Scheinwerferlicht stehen zu müssen.
    Die Veränderungen im Haus waren erstaunlich. Sie hatte seit der Renovierung so wenig Zeit hier verbracht, dass sie es kaum wiedererkannte. Gleich beim Eintreten hatte man diesen herrlichen Blick auf den von Michael gestalteten Garten.
    Lächelnd rief sie: „Melanie?“ Keine Antwort. Alles war still. Sie stellte die Tasche ab, legte die weißen Handschuhe auf die Kommode im Eingang und sah kurz den Stapel ihrer Post durch. Nichts von Michael.
    Sie schnupperte und nahm den Duft von Melanies Parfum wahr. Das ganze Haus duftete danach. Als sie sich genauer umsah, entdeckte sie überall ein paar von Melanies Sachen. Ihre Kristallsammlung und kleine Porzellanfigürchen. Ein Roman, den sie las, lag aufgeschlagen auf dem Sofa. Nur wenig deutete darauf

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