Das verletzte Gesicht
hin, dass sie, Charlotte, hier lebte.
Im Bad packte sie ihre Toilettenartikel aus, wusch sich die Reisemüdigkeit aus dem Gesicht und cremte es sorgfältig ein. Morgen bestelle ich die Masseuse, dachte sie und rieb sich den schmerzenden Nacken. Massageöl mit Jasminduft und Ruths Zauberfinger, die die Verspannungen wegkneteten, das war es, was sie brauchte.
Für das luxuriöse Bad hatte Michael gewölbte Decken und große Fenster entworfen, die sich weit zum Garten hin öffnen ließen, während sie sich im Sprudelbad entspannte. Bobbys Beitrag waren amüsante pausbackige Engelchen an der Decke, die sie mit großen Augen ansahen und auf sie zeigten.
Charlotte gab einige Tropfen ihres Lieblingsparfums – ein Geschenk von Michael – ins Badewasser und konnte kaum glauben, dass es vier Monate her war, seit sie sich geküsst und geliebt hatten.
Der betörende Duft erfüllte den Raum. Plötzlich wurde ihr übel. Sie schaffte es gerade noch zur Toilette. Der Stress von vier Monaten Filmarbeit, acht Stunden Flug, zwei Schmerztabletten und ihrer Einsamkeit ohne Michael forderte seinen Tribut.
Als Melanie das Haus betrat, wusste sie, dass Charlotte zurück war. Eine ihrer geliebten Opernarien plärrte aus dem Lautsprecher, ihre Louis-Vuitton-Koffer versperrten den Flur, und ihr Badeparfum durchzog das Haus. Erfreut warf sie Aktentasche und Handtasche zu den Koffern und eilte durch das Wohnzimmer.
„Charlotte! Willkommen zu Hause. Wo bist du, Süße?“
An der Tür zu Charlottes Schlafzimmersuite blieb sie stehen und sah niemanden. Sie wollte schon wieder gehen, als sie hörte, wie sich im Bad jemand übergab.
Sie eilte zu ihr. „O Gott, was ist los mit dir?“ fragte sie mitfühlend und hielt ihre schmalen Schultern, während sie würgte. Wie dünn Charlotte geworden war, machte ihr Angst. Ihre Schultern waren nur noch Knochen unter blasser Haut. Ihr Haar hing schlaff und glanzlos herab.
Als Charlotte sich erschöpft an sie lehnte, wischte sie ihr das Gesicht mit einem feuchten Waschlappen ab und half ihr auf. Sie wickelte die fröstelnde Charlotte in einen Bademantel und führte sie zum Bett.
„Diesen Freddy bringe ich um.“ Bei ihrer rauchigen Stimme klang sogar eine Drohung sexy. Charlotte wollte lächeln, konnte aber nicht. Kraftlos sank sie in die Kissen und schloss die Augen, unter denen tiefe dunkle Schatten lagen. Ihre ohnehin betonten Wangenknochen traten eckig über eingefallenen Wangen hervor.
„Es ist nicht seine Schuld, Mel. Er bemuttert mich wie eine Glucke. In Frankreich hat er mir sogar einen persönlichen Bodyguard zur Seite gestellt. Hatte einen Black-out … tat alles, was er konnte.“
„Ich hole dir etwas zu essen.“
„Nein!“ stöhnte Charlotte. „Ich kriege nichts herunter.“
„Was? Bist du magersüchtig oder was?“
„Nein, das ist es nicht.“
„Warst du beim Arzt?“
„Bei mehreren. Keiner weiß, was mir fehlt. Angeblich brauche ich einen Therapeuten.“ Melanie war außer Michael der einzige Mensch, dem sie sich anvertrauen konnte. „Ein Psychologe meinte, ich litte unter einer emotionalen Störung.“ Sie kicherte halb weinend. „Mit anderen Worten, ich bin verrückt.“
„Du bist der psychisch stabilste Mensch, den ich kenne. Der Mann ist ein Idiot. Jeder sieht, dass du unterernährt bist. Dir fehlen ein paar gute Mahlzeiten.“
„So spricht der wahre Küchenchef.“ Charlotte öffnete ein Auge und lächelte ihre Freundin an.
Melanie hatte sich in den letzten Monaten sehr verändert. Keine aufreizende, enge Kleidung mehr, keine grelle Schminke, kein platinblondes Haar, keine hohen Hacken. Sie hatte sich das Haar in Kinnlänge abschneiden lassen, und die weichen braunen Locken schmeichelten ihrem runden Gesicht. Sie hatte Gewicht zugelegt, mindestens zehn Pfund, was die Hosen und Pullover in schmeichelnden Rundungen ausfüllte. Sie wirkte nicht mehr so trendy und jung wie in Leggings und gekrempelten Socken, dafür aber zufrieden mit sich, weniger aufreizend, und dafür sehr anziehend. Eine Frau, die Äußerlichkeiten nicht mehr überbetonen musste, weil sie ihre inneren Werte entdeckt hatte.
„Genug von mir. Erzähl mir, was sich seit unserem letzten Zusammensein getan hat. Wie geht es in der Schule voran?“ Obwohl sie im Bett unter mehreren Decken lag, fror sie erbärmlich.
Melanie ließ sich strahlend auf die Bettkante fallen. „Es läuft großartig. Ich gehe gern zur Schule, liebe den Unterricht und wache jeden Morgen gern auf. Vielleicht ist es
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