Das Verlies der Stuerme
fragte Khelchos. »Auf der Heiligen Suche nach neuen weißen Drachen wurde er bedauerlicherweise von einem großen Bären angefallen und verspeist. Auch wenn Hellwah ihm die Macht verliehen hatte, mit weißen Drachen zu reden, so konnte er den viel kleineren Bären doch nicht davon abhalten, ihn zu töten. Manchmal nimmt das Leben doch recht seltsame Wege, nicht?«
Ben zuckte mit den Schultern, sagte jedoch noch immer nichts und verkniff sich auch jede triumphierende Bemerkung über Morlans Tod.
»Somit können wir dich natürlich nicht an ihn ausliefern.« Der Abt lächelte. »Weißt du, was das für dich bedeutet?«
»Nein«, sagte Ben nun doch, leise und misstrauisch. Sanft keimte Hoffnung in ihm auf. Hieß das etwa, der Steckbrief war null und nichtig?
»Nun«, sagte der Hohe Abt Khelchos noch immer lächelnd. »Das bedeutet, dass wir dich hier bei uns in Rhaconia hängen dürfen.«
Wütend stürzte Ben ans Gitter, um diesen widerlich grinsenden Drecksabt durch die Stäbe hindurch zu packen, da sauste der Schlagstock des Kerkermeisters blitzschnell auf seinen rechten Unterarm herab, und stechender Schmerz durchfuhr ihn. Ben schrie. Sofort holte der Kerkermeister wieder aus, und Ben zog seine Arme zurück.
Nicht einmal jetzt hatte der Hohe Abt aufgehört zu lächeln, er hatte nicht einmal gezuckt. »Widerspenstig, ich sag es ja.«
Ben presste die Lippen aufeinander und kämpfte mit den Tränen. Schmerz, Wut und die Angst vor dem nahen Tod wollten ihn übermannen. Doch er würde vor dem Abt keine Schwäche zeigen.
»Nun, ich werde dich morgen noch nach deinen unbedeutenden Freunden befragen lassen, und in zwei Tagen wirst du dann hängen.« Mitleidig sah Khelchos ihn an. »Ich weiß gar nicht, wieso Morlan ein so hohes Kopfgeld auf euch ausgesetzt hat. Du bist so klein.« Er seufzte. »Nun ja, wie auch immer, überlege dir noch deinen letzten Wunsch und was du vor der Hinrichtung essen willst.«
»Ich will den Drachen sehen, der gestern neu in euer Kloster gekommen ist«, sagte Ben, ohne nachzudenken. Mit der Linken hielt er den pochenden Unterarm.
»Gestern?« Irritiert sah der Abt ihn an.
»Ja, gestern. Blau wie die Rinde einer alten Himmelsbuche, etwa dreizehn Schritt lang.«
»Der Drache von Herrn Melchon?«
»Nein!«, fuhr Ben auf. »Der ist doch meerblau. Ich meine den Drachen, der erst gestern seine Flügel verloren hat.«
Langsam schüttelte der Abt den Kopf. »Gestern haben wir keinen Drachen befreit.«
»Lügner!«, schrie Ben.
Der Kerkermeister schlug mit dem Stock gegen die Gitterstäbe, dass es laut in Bens Ohren dröhnte.
»Weshalb sollte ich denn lügen?«, fragte der Abt und gewann sein salbungsvolles Lächeln wieder. »Der letzte Wunsch ist heilig. Meinetwegen kannst du vor deinem Tod
alle Drachen in den Stallungen sehen, auch wenn das ein seltsamer Wunsch ist.« Und er wandte sich ab und ging gemessenen Schritts davon.
Ben starrte ihm nach. Obwohl er es nicht zugeben wollte, der Abt hatte tatsächlich keinen Grund, ihn anzulügen. Aiphyron war nicht hier.
Oder doch? Man konnte diesen verlogenen Rittern einfach nicht glauben.
Als die Kerkertür ins Schloss fiel, fiel auch der Stolz von Ben ab, der ihn vor Khelchos aufrechtgehalten hatte. Schluchzend sank er zu Boden und umklammerte den anschwellenden Arm.
Aiphyron war nicht hier.
Es hatte nie einen Grund gegeben, sich ins Kloster einzuschleichen. Ben würde nur wegen seiner eigenen Dummheit gehenkt. Er ließ die Tränen laufen und rollte sich auf dem harten Boden zusammen wie ein Baby. Was nutzten nun all sein Stolz und die Wut? Aus dieser Zelle konnte er nicht ohne Hilfe entkommen, und keiner wusste, wo er war.
Er würde sterben.
VIER HINRICHTUNGEN UND EIN RETTUNGSPLAN
S eit vor einer Stunde die Sonne aufgegangen war, hatten sie das Anwesen von Finta unauffällig im Auge behalten, waren die Straße hinauf- und hinuntergeschlendert, hatten ganz langsam zahllose falsche Kiesel aus den Schuhen geschüttet, doch kein Ritter hatte es seitdem betreten oder verlassen. Die Männer am Tor trugen die Farben der Familie Dogha, und doch wusste Yanko nicht, ob sie es wagen sollten hinüberzugehen und um Einlass zu bitten. Der Orden war sicher schlau genug, eine Falle so zu stellen, dass sie nicht sofort als solche erkannt wurde. Unruhig warteten sie eine weitere halbe Stunde und wussten dann noch immer nicht, was sie tun sollten. Yanko hasste die vielen Vielleichts, mit denen sie sich herumschlagen mussten.
Doch bevor sie endlich
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