Das Verlies der Stuerme
gut auf den verstorbenen Hohen Abt Morlan zu sprechen. Möglicherweise wollte er ihn nachträglich lächerlich machen, indem er so tat, als habe Morlan hohe Summen auf die Köpfe harmloser Kinder ausgesetzt. Der würde sich noch wundern, wenn Yanko und Nica ihn erst rächen würden. Nun huschte doch ein kurzes Lächeln über Bens Züge, wenn auch ein grimmiges.
Den Knappen hatte er nichts über seine Freunde verraten, immer wenn sie mit entschlossenen Gesichtern nach der Wahrheit verlangten, hatte er gesagt, dass Drachen ohne Flügel frei und freundlich seien.
Die meisten Jungen wussten darauf nicht anders zu reagieren als ihn anzuschreien: »Lüge! Alles Lüge! Ketzerei!«
Nur dieser Akse, der schon in Rhaconia aus dem Gleichschritt gefallen war, hatte geschwiegen und über seine Kameraden geschmunzelt. Ben dagegen hatte er nachdenklich betrachtet.
Ein anderer hatte Ben geschlagen und dafür einen Rüffel des unterrichtenden Ritters kassiert. »Keine Gewalt, Khonar. Folter lernt ihr erst nächstes Jahr.«
Das war die ganze Befragung gewesen.
Schließlich erschien der Kerkermeister und tischte Ben ein reichhaltiges Frühstück auf. Er brachte jedoch keinen Bissen herunter. Wozu sollte er auch, er wollte nicht satt sein, wenn er starb.
Er wollte auch nicht sterben.
Der Hohe Abt selbst holte ihn ab und führte ihn tatsächlich durch die Drachenstallungen. »Das war doch dein letzter Wunsch?«
Ben nickte, obwohl ihm alles egal war. Wozu war ein letzter Wunsch nütze, wenn man wusste, dass es der letzte war?
Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, er folgte dem Abt. Seine Hände waren gefesselt, die Füße mit einer kurzen Kette verbunden, sodass er nur kleine Schritte machen konnte. Der rechte Unterarm war vom Knüppel des Kerkermeisters noch immer dick und blau, doch der Schmerz zum Glück abgeebbt. Solange er ihn nicht groß belastete, spürte er nichts. Zwei kräftige Ritter führten ihn, es gab keine Möglichkeit zu entkommen.
Als er jedoch die lange, sonnendurchflutete Stallgasse mit den hohen Fenstern betrat, war er plötzlich froh, hier zu sein. Noch einmal Drachen zu sehen, auch wenn es nur geknechtete, flügellose waren. Langsam schlurfte er an den Drachen vorbei, sog ihren erdigen Geruch ein, mit all den anderen Nuancen. Es war, als könnte er Gerüche aus allen Regionen der Welt aufnehmen, den dunkler Wälder, weiter Wüsten und hoher Berge, den nach Meer und Moor. Durch die Gitterstäbe betrachtete er die herrlichen Wesen in allen Farben von tiefschwarzer Erde bis zum hellsten, glitzernden Sand.
Mitleid überschwemmte ihn und ließ für einen kurzen Moment die Angst vor der Hinrichtung in den Hintergrund
treten. Sein Unterkiefer bebte, kaum konnte er die Tränen zurückhalten. Niemand würde diese Drachen mehr befreien. Selbst wenn es den anderen gelang, sie aus dem Kloster zu entführen – wirklich frei würden sie ohne Flügel nicht sein. Versklavt, bis irgendwann einmal vielleicht wieder ein Drachenflüsterer geboren würde. Das mochte hundert Jahre oder länger dauern. Er, Ben, würde jetzt sterben.
Verdammt!
Neugierig musterte ihn ein Drache mit grasgrünen Schuppen, als ahne er, wer Ben war. Was er war. Sein Blick folgte ihm, als Ben vorüberschritt, und er gab ein sanftes Brummen von sich. Kurz schloss Ben die Lider und atmete durch, dann öffnete er die Augen wieder.
»Und? Gefällt dir dein letzter Wunsch?«, fragte der Abt mit einem verhaltenen Lächeln. Warum musste er nur immerzu lächeln?
Ben schüttelte den Kopf. Er ertrug es kaum noch, und doch wollte er sie alle ansehen, und auf keinen Fall würde er Schwäche zeigen. »Sie sind wunderschön, sehen aber krank aus. Verstümmelt, so ohne Flügel.«
»Ich habe erfahren, was du gestern von dir gegeben hast. Sehr schön.« Der Abt nickte. »Wirklich sehr schön, so viel Widerspenstigkeit. Wäre für heute nicht deine Hinrichtung angesetzt, ich würde die Knappen weiter mit dir üben lassen. Du bist eine anspruchsvolle Aufgabe.«
Eine anspruchsvolle Aufgabe? Ich bin ein Mensch, du widerlicher, lächelnder, dreckiger Lügenborst, dachte Ben. »Nun, dann sagt die Hinrichtung doch ab.«
»O nein, das geht nicht. Hinrichtungen sagt man nicht so leichtfertig ab. Die Leute freuen sich doch schon darauf. Und die wollen wir nicht enttäuschen, oder?« Tadelnd sah
ihn der Abt an, und Ben hatte das Gefühl, er würde ihm gleich eine schlechte Bewertung geben. »Für meine Knappen findet sich schon noch eine andere Aufgabe.«
»Ja.
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